Termingerangel und Turnierüberschuss im Tennis
Das Wichtigste in Kürze
- Im Tennis schiessen zurzeit neue Events wie Pilze aus dem Boden.
- ITF-Vizepräsident zeigt sich aufgrund des Machtkampfes um Termine und Turniere besorgt.
- Tennis ist ein «Opfer» seines Erfolges geworden.
Der Aufschrei in der Tenniswelt war vor allem unter den Traditionalisten gross. Der Internationale Tennisverband (ITF) reformierte den traditionsreichsten Teamevent Davis Cup nicht nur, sondern revolutionierte ihn geradezu.
Seit Montag findet in Madrid das erste Finalturnier mit 18 Teams statt. Das Teilnehmerfeld darf sich mit den Nummern 1 (Rafael Nadal) und 2 (Novak Djokovic) wahrlich sehen lassen. Denn auch Topspieler wie Andy Murray, Daniil Medwedew, Matteo Berrettini, Gaël Monfils oder David Goffin nehmen Teil.
Die Masters-Finalisten Stefanos Tsitsipas und Dominic Thiem fehlen, weil sich Griechenland und Österreich nicht für den Final qualifiziert haben. Freiwillig abwesend sind aus den Top Ten einzig Roger Federer und Alexander Zverev. Die beiden ziehen dem Finalturnier eine Exhibition-Tour durch Südamerika vor.
«Vor einem Jahr sagten alle, da kommt niemand. Jetzt sind die Nummern 1 und 2 da, das ist doch nicht schlecht», zeigt sich René Stammbach zufrieden. «Im Vorverkauf wurden über 100'000 Tickets verkauft, und die Anlage ist fantastisch», so der Präsident von Swiss Tennis und ITF-Vizepräsident.
Termingerangel
Wirklich zufrieden ist Stammbach aber mit der aktuellen Situation nicht. Die Tenniswelt ist nicht nur wegen der Änderungen im Davis Cup in Aufruhr. Es herrscht ein eigentlicher Machtkampf um Termine und Turniere.
Vor drei Jahren wurde der Laver Cup aus der Taufe gehoben. Federführend sind die von Roger Federer und seinem Manager Tony Godsick gegründete Agentur Team8 und Tennis Australia. Nur fünfeinhalb Wochen nach dem Davis Cup folgt mit dem ATP Cup ein weiterer neuer Team-Event in Australien.
Tennis so weit das Auge reicht
Wem das nicht bereits zu viel Tennis ist, der bekommt noch eine wahre Schwemme von Exhibitions zur Auswahl. Während der Swiss Indoors spielten Nadal und Djokovic in der kasachischen Hauptstadt Astana.
In dieser Woche absolvieren Federer und Zverev, der neu zu Team8 gehört, eine wahre Ochsentour durch Südamerika. In sechs Tagen bestreiten sie fünf Spiele in fünf verschiedenen Ländern, Ende Dezember spielen sie auch noch in China.
Bereits Mitte Dezember treten Stan Wawrinka, Daniil Medwedew, David Goffin und Fabio Fognini zu einer Exhibition in Saudi-Arabien an. Eine Woche nach dem Australian Open kommt es in Kapstadt auch noch zum «Match in Africa». Dort werden Federer und Nadal für die Stiftung des Schweizers aufeinandertreffen.
Stammbach: «Wir sollten uns nicht untereinander streiten»
Für den ITF-Vizepräsidenten ist die Häufung an Terminen ein grosses Ärgernis. «Ich habe das schon vor einem halben Jahr mal in einem Interview gesagt: Wir geben als Sport ein jämmerliches Bild ab.» Tennis ist ein «Opfer» seines Erfolges. Jeder will noch davon profitieren, dass die goldene Generation mit den Publikumsmagneten Federer und Nadal noch spielt.
«Tennis ist ein gutes Produkt», betont Stammbach. «Aber wir sollten uns nicht untereinander streiten. Wir sind in Konkurrenz zum Fussball, Netflix oder den neuen Sportarten.» Er bedauert, dass die einzelnen «Player» nicht miteinander reden.
Federer als Mediator?
Stammbach ist für vier weitere Jahre als Vizepräsident der ITF gewählt. Er wünscht sich, dass es bis dann einen «organisatorischen Prozess» gibt, um Ordnung in den Daten-Wildwuchs zu bringen. «Wenn vernünftige Leute zusammensitzen und eine Lösung finden wollen, dann sollte das möglich sein.»
Aktuell gibt es für ihn nur einen, der alle Beteiligten an einen Tisch bringen könnte: Roger Federer. «Gerade, weil er eben selbst auch Partei ist.» Ob er will, steht aber auf einem anderen Blatt.
Die ITF denke langfristig, in Generation, nicht in Zehn-Jahres-Zyklen. Deshalb habe man für den Davis-Cup-Final auch einen 25-Jahres-Vertrag abgeschlossen. Um die Zukunft des Tennis macht sich Stammbach keine Sorgen.
Vor 40 Jahren sorgte man sich um die Zukunft nach Borg oder McEnroe. Dann habe man gedacht, nach Agassi und Sampras komme eine Krise. «Es wird weiter Ikonen geben, die Tennis spielen.» Die Frage ist, welche der zahlreichen neuen Events, überleben werden, wenn die Zugpferde Federer und Nadal einmal nicht mehr spielen.