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Analyse: Österreichs Ski-Misere ist keine Überraschung

Ohne ihre Lichtgestalt Marcel Hirscher ist die Ski-Macht Österreich plötzlich nicht mehr so mächtig. Überrascht sind nur die Österreicher selbst.

Alpiner Skiweltcup Hannes Reichelt
Sinnbildlich: Der Ausfall von Speed-Oldie Hannes Reichelt schmerzt Österreich ganz besonders. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Erstmals seit 30 Jahren droht Österreich den Nationencup an die Schweiz zu verlieren.
  • Ohne die Übermacht Marcel Hirscher steht der ÖSV plötzlich nackt da.
  • Mit einem Hinterfragen der Strukturen ist allerdings nicht zu rechnen.

Dass der Über-Skifahrer Marcel Hirscher nach seinem Rücktritt nicht nahtlos zu ersetzen sein würde, war klar. Ebenso einleuchtend war es auch, dass die österreichische Vormachtstellung im alpinen Skiweltcup ohne ihn nicht dieselbe sein würde. Dass der Rückfall aber so dramatisch sein würde, dass erstmals seit 30 Jahren der Verlust des Nationencups droht?

In Wahrheit war selbst das absehbar, denn hinter der Lichtgestalt Hirscher herrschte im rot-weiss-roten Lager vor allem Schatten. Das trifft insbesondere auf den Technik-Bereich zu, wo Hirscher fast ein Jahrzehnt über alle österreichischen Schwächen hinwegsehen liess.

Marcel Hirscher Alpiner Skiweltcup
Im Schatten von König Marcel Hirscher tat sich im österreichischen Skisport ein Vakuum auf. - Keystone

Beispiele gefällig? Der zweitbeste Slalom-Österreicher im Vorjahr war Marco Schwarz als Gesamt-Siebter, Manuel Feller dahinter Achter. Im Riesenslalom war Feller als Vierzehnter gar der beste Nicht-Hirscher-Ösi. Anders ausgedrückt: Ausgerechnet in Hirschers Parade-Disziplinen fehlt es jetzt an Ersatzmännern.

Der ÖSV gleicht mehr einem Lazarett

Es hilft natürlich nicht, dass die stärksten ÖSV-Techniker in diesem Winter vom Verletzungspech geplagt waren. Schwarz zeigte sich nach seinem Kreuzbandriss noch nicht in alter Stärke. Feller machte ein Bandscheibenvorfall zu schaffen.

Die Verletztenliste bei den Österreichern ist ein Who-Is-Who einiger der besten ÖSV-Athleten. Bei den Herren fallen mit Slalom-Ass Christian Hirschbühl und Speed-Oldie Hannes Reichelt zwei Top-Fahrer aus. Auch der Ausfall von Christopher Neumayer schmerzt.

Hannes Reichelt Alpiner Skiweltcup
Hannes Reichelt schlägt in Bormio ins Fangnetz ein. Da war das Kreuzband schon gerissen. - dpa

Noch schlimmer hat es die Damen erwischt. Bernadette Schild, Stephanie Brunner, Elisabeth Kappaurer, Conny Hütter, Christina Ager, Ariane Rädler, Sabrina Maier – alle langzeitverletzt. Fitte Top-Fahrerinnen sind derzeit nur Katharina Liensberger und Nicole Schmidhofer.

Nur die Verletzungen sind nicht Erklärung genug

Natürlich kann das Verletzungspech nur bedingt als Ausrede herhalten. Der Ausfall eines Altmeisters wie Reichelt – immerhin schon 39-jährig – darf nicht so schmerzen, wie er es tut. Im Speed-Bereich können Matthias Mayer und Vincent Kriechmayr den Ausfall abfangen. Im Gesamt- und Nationenweltcup gesehen fehlt aber die Leistungsdichte.

Alpiner Skiweltcup Matthias Mayer
Österreichs Ehrenrettung in den Speed-Disziplinen heisst Matthias Mayer. - keystone

Und das ist nicht erst heuer der Fall. Bei den Herren hätte die Schweiz schon im Vorjahr den Nationencup holen können, gäbe es da nicht Marcel Hirscher. Hinter dem Über-Skifahrer herrschte im ÖSV-Kader zwar nicht gähnende Leere, aber doch ein leichtes Vakuum.

Die Verletzungssorgen verstärken dieses hausgemachte Problem nur noch. Denn die Wahrheit ist, dass Hirschers herausragende Leistungen auch nur in seinem eigenen Mikrokosmos möglich waren. Innerhalb des ÖSV genoss er seine Sonderstellung, hatte sein eigenes Team um sich herum.

Hinterfragen? Kennt der Österreicher nicht

Geblendet von diesen Erfolgen versäumte der ÖSV die Erkenntnis, dass im eigenen Haus nicht alles in Butter ist. Durchbrechende junge Athleten gab es weder in den Speed- noch Technik-Disziplinen zu bestaunen. Die Hoffnung, dass der nächste Marcel Hirscher schon irgendwo im Kader lauert, bestätigte sich nicht.

Eine Zahl, die der «Kurier» aufzeigt, unterstreicht die deutliche Misere. Fünfzehn Läufer hat ÖSV-Techniktrainer Andreas Puelacher in diesem Winter eingesetzt. Sie alle sammelten gemeinsam 464 Punkte. Hirschers einstiger Dauerrivale Henrik Kristoffersen hat deren 471.

Alpiner Skiweltcup Henrik Kristoffersen
Besser als das ganze österreichische Technik-Team: Henrik Kristoffersen (alleine). - keystone

Selbstkritik am Verband oder an der eigenen Organisation braucht man vom ÖSV nicht zu erwarten. Selbst dann, wenn der Nationencup erstmals seit 30 Jahren nicht an Rot-Weiss-Rot geht, wird vieles beim Alten bleiben. Die Entlassung eines mutmasslich erfolglosen Cheftrainers müsste da schon als das höchste der Gefühle angesehen werden. Dass man aber am System rüttelt, dass die aktuelle Misere produziert – das ist so ganz und gar nicht österreichisch.

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