Genugtuung nach «Judas»-Rufen: Baumanns emotionale Abfahrt
Das Wichtigste in Kürze
- Romed Baumann fährt seit dieser Saison für Deutschland.
- Das finden die Österreicher gar nicht witzig.
- Während der Streckenbesichtigung wurde er mit Judas-Rufen eingedeckt.
Romed Baumann stand schnaufend im Zielraum von Kitzbühel, und die Gefühle schüttelten ihn durch wie die berüchtigte Streif-Traverse Sekunden zuvor.
Dort, wo Abfahrer ihre grösste Bühne haben und wo ihn am Morgen Fans als «Judas» beschimpft hatten. Dort machte sich eine tiefe Genugtuung breit. Nein, gewonnen hatte Baumann nicht, er hatte auch das Podium der Hahnenkamm-Schussfahrt verpasst. Platz sieben aber war ein Meilenstein in seiner Ski-Karriere.
«Des wor a gewaltige Wochn für mi», sagte Baumann. Er war 33 Jahre seines Lebens Tiroler, seit dem Winter geht er aber für Deutschland an den Start.
Genugtuung in Kitzbühel
In Kitzbühel, wenige Kilometer von Baumanns Geburtsort St. Johann entfernt, schreiben Rennfahrer oft Ski-Geschichte - diesmal hat Kitzbühel für eine grosse Geschichte im Leben eines Rennfahrers gesorgt.
«Es ist für mich immer noch ein bisschen schwer zu glauben, was da alles passiert ist», sagte Baumann. Dies im Rückblick auf zwölf aufwühlende Monate und ein vorläufiges Happy End vor 50.000 Fans.
Dass der Routinier bei der wichtigsten Abfahrt der Welt einmal bester Deutscher und nur acht Zehntelsekunden langsamer sein würde als der österreichische Sieger Matthias Mayer, das hätte vor einem Jahr keiner geglaubt. Damals schien seine Karriere zu Ende zu sein.
Wechsel ins deutsche Team
Im Januar 2019 fuhr Baumann noch für Österreich und brach das erste Training auf der Streif ab, weil er sich nicht mehr sicher fühlte. Er, er in Kitzbühel schon einmal Zweiter geworden war, wurde aus dem Aufgebot für das Rennen gestrichen und hatte keine ÖSV-Zukunft mehr.
Baumann aber fühlte sich nicht als Ski-Rentner. Und weil er mit einer deutschen Frau verheiratet ist und seit langem in Kiefersfelden wohnt, heuerte er beim Deutschen Skiverband an. «Das ist Wahnsinn, ich war auch so berührt», sagte Teamkollege Josef Ferstl. «Jetzt ist er bester Deutscher, das ist doch eine Hammergeschichte.»
Judas-Rufe nach Besichtigung
Wie in jeder guten Geschichte gibt es auch in dieser Hindernisse und Bösewichte. Nach der Streckenbesichtigung etwa stapfte Baumann aus dem Zielbereich, als ihn Fans wegen seines Nationenwechsels «Judas» nachbrüllten. «Das war schon heftig», sagte der deutsche Alpin-Chef Wolfgang Maier und ergänzte: «Nein, die waren nicht alle besoffen.»
Maier selbst war im Frühjahr nicht begeistert vom Nationenwechsel. «Keiner wollte ihn wirklich haben», räumte er ein. «Du bist permanent blöd angemacht worden von gewissen Funktionären, die gesagt haben: Jetzt habt ihr endlich einen Abfahrer, da, jetzt habt's eine Lusche.»
Baumann aber zeigte es den Zweiflern und Kritikern und war im Team um Leistungsträger Thomas Dressen und Routinier Ferstl - die beide am Samstag patzten und jenseits der Top 20 landeten - schnell beliebt.