Die engagierte Verteidigung der Gesamtarbeitsverträge und der Lohnkontrolle ist ein Zeichen für ein sozialeres und zukunftsfähiges Europa.
Regula Rytz, Nationalrätin der Grünen, in einem interview mit Nau.ch
Regula Rytz, Nationalrätin der Grünen, in einem interview mit Nau.ch - Nau

Das Wichtigste in Kürze

  • Wer in der Schweiz oder in Deutschland arbeitet oder arbeiten lässt, muss die Spielregeln vor Ort akzeptieren.
  • Seit 20 Jahren haben die Gewerkschaften in der Europapolitik die gradlinigste und realistischste Position.
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Die Aussenpolitische Kommission des Ständerates beugt sich wieder einmal über das Europa-Dossier. Der auf Ende Jahr geplante Abschluss des Rahmenabkommens ist in weite Ferne gerückt. Die Verantwortung dafür tragen allerdings nicht die „rückwärtsgewandeten“ Gewerkschaften, wie landauf landab getrommelt wird. Sondern ein schwacher Bundesrat, der sich von zwei seiner Mitglieder auf der Nase herumtanzen lässt.

Eines steht fest: Seit 20 Jahren haben die Gewerkschaften in der Europapolitik die gradlinigste und realistischste Position. Sie haben den Bilateralen Verträgen im Jahr 2000 nur zugestimmt, weil diese an flankierende Massnahmen zum Schutz der Löhne und der Arbeitsbedingungen gekoppelt wurden. Jedes Kind weiss heute: Die Schweiz mit ihrer starken und eigenständigen Währung und dem hohen Lohn- und Preisniveau kann den Arbeitsmarkt nur öffnen, wenn die inländischen Arbeitsbedingungen durch Gesamtarbeitsverträge und Kontrollen geschützt sind. Sonst kommen die einheimischen Löhne und das Handwerk in den Grenzregionen unter die Räder. Das ist sozialer Sprengstoff - und Knetmasse für die Rechtspopulisten.

Während Bundesrat Johann-Schneider Ammann den Gewerkschaften die Schwächung der Schutz- und Kontrollmassnahmen schmackhaft machen will, steigt in den europäischen Ländern das Interesse an der Pioniertat aus der Schweiz. Denn auch in der EU unterscheiden sich die Länder punkto Wirtschaftskraft. Auch in der EU löst der offene Arbeitsmarkt zunehmend Widerstände aus. Mangels Alternativen müssen sich immer mehr schutzlose Arbeitnehmer/innen aus den Krisenländern im Osten für Hungerlöhne ausbeuten lassen. Damit setzen sie nicht nur sich, sondern auch die Angestellten und Büezer in Deutschland, in Skandinavien, in Grossbritannien unter Druck.

Dieses Dilemma kann nur mit einer starken Sozialpartnerschaft und der europaweiten Durchsetzung des „Leistungsorts-Prinzips“ gelöst werden. Wer in der Schweiz oder in Deutschland arbeitet oder arbeiten lässt, muss die Spielregeln vor Ort akzeptieren. Nur so können Menschen vor Lohndumping geschützt werden. Die einheimischen Fachkräfte genauso wie die zugewanderten.

Die engagierte Verteidigung der Gesamtarbeitsverträge und der Lohnkontrolle ist deshalb nicht als Sabotage an der Zusammenarbeit mit der EU zu werten, sondern als Zeichen für ein sozialeres, zukunftsfähiges Europa. Für mich ist klar: Die Gewerkschaften sind in der Europapolitik sehr viel weitsichtiger als die beiden FDP-Bundesräte. Bleibt zu hoffen, dass der Gesamtbundesrat an seiner roten Linie festhält. Und dass er die europäischen Länder von Wert der flankierenden Massnahmen überzeugen kann. Nicht nur als Modell für die Schweiz, sondern für ganz Europa.

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