Ein Jahr nach dem Massaker von Las Vegas

Am 1. Oktober 2017 starben beim Massaker von Las Vegas 58 Menschen – ein Jahr danach sind die Konsequenzen bescheiden.

Ein verlorener Schuh liegt neben Blutspuren auf dem Boden auf dem Platz des Route 91 Harvest Festivals in Las Vegas, wo Stephen Paddock am 1. Oktober 2017 Menschen erschoss. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Vor genau einem Jahr tötete Stephen Paddock wahllos 58 Menschen in Las Vegas.
  • Gelernt hat die Waffennation USA daraus anscheinend überhaupt nichts.

Ohne beglichene Rechnungen wollte Stephen Paddock anscheinend weder töten noch sterben: Bevor er in Las Vegas seine minutiösen Planungen für ein Massaker in die Tat umsetzte, zahlte er all seine Spielschulden zurück. Der 64-Jährige tötete dann in kaum fassbarer Weise 58 Menschen und verwundete 851 weitere. Damit beging er am 1. Oktober 2017 den USA-weit folgenreichsten Massenmord seit den Terroranschlägen von New York und Washington im Jahr 2001.

Doch auch genau ein Jahr nach dem Ereignis, das Menschen weit über die USA hinaus schockiert zurückliess, hat die Politik nicht entschlossen darauf reagiert. In 40 der 50 Bundesstaaten wurden nicht einmal die von Paddock genutzten sogenannten Bump Stocks verboten, die den hohen Blutzoll erst ermöglichten – kleine Vorrichtungen, die eine halb-automatische Waffe praktisch zum Maschinengewehr machen und somit das Verbot vollautomatischer Schusswaffen umgehen.

1100 Kuglen in zehn Minuten

Dank dieser frei im Internet erhältlichen Bauteile konnte Stephen Paddock zehn Minuten lang aus seinem Hotelzimmer feuern – ohne Pause. Mehr als 1100 Kugeln verlassen in dieser Zeit die Läufe seiner Waffen, wie aus dem Abschlussbericht der Polizei fast ein Jahr später hervorgehen sollte. Aus 450 Metern Entfernung in die Menge gefeuert – wahllos. Ohne jeden Zweifel mit der vollen Absicht, grösstmöglichen Schaden anzurichten, grösstmögliches Leid zu säen. Eine Kugel hatte er für sich selbst reserviert.

In dem von Stephen Paddock gemieteten Zimmer liegen überall Waffen, auf dem Boden auf Tisch und Stühlen, in der Badewanne. - Keystone

Auf 187 Seiten schildern die Ermittler detailreich, was damals passiert ist. Wie Paddock tagelang Waffen und Munition in die beiden angemieteten, nebeneinander gelegenen Zimmer des Mandalay Bay Hotels geschleppt hat. Wie ein Hotelbediensteter Verdacht schöpfte und dann angeschossen wurde. Wie die Menschen, die gerade den Abschluss eines Musikfestivals feierten, nach den ersten Schüssen zuerst an ein Feuerwerk dachten.

Warum?

Was auch die Untersuchungen der Detectives von der Las Vegas Metropolitan Police sowie des FBI nicht beantworten, ist die Frage: warum? Was hat den Mann getrieben, den die Polizei als Trinker bezeichnet und als notorischen Glücksspieler, der oft mit hohen Einsätzen beim Online-Poker am Bildschirm zockte? «Dieser Bericht ist leider nicht in der Lage, das Warum zu klären», heisst es in dem Papier. Es gibt keinen Abschiedsbrief, Paddock hatte kaum Freunde, er lebte zurückgezogen in einer Pensionärskolonie.

Der Mörder ist eine schillernde Figur. Sein Vater war ein berüchtigter Bankräuber und galt nach einem Gefängnisausbruch einst als einer der meistgesuchten Kriminellen der Vereinigten Staaten. Die Mutter zieht den Jungen gross, als Student arbeitet er bei der Post, später beim Finanzamt, danach als Buchhalter. Mit Immobilien scheffelt er ein Vermögen. Er macht den Pilotenschein, kauft sich ein Flugzeug. Er hat genug Geld, um Zehntausende Dollars in den Kasinos von Las Vegas und Reno aufs Spiel zu setzen, die Zimmer in den Casino-Hotels bekommt er als Stammgast oft umsonst.

Eric Paddock zeigt ein Photo von sich (l.) und seinem Bruder, dem Todesschützen von Las Vegas, Stephen Paddock (r.) vor ihrem Zuhause in Orlando, Florida (US). - Keystone

Die Ermittler tun sich schwer mit ihm: Paddock passt in kein übliches Täterprofil. Das eigentliche Motiv könnte für immer im Dunkeln bleiben. Das Muster, wie er sich Waffen und Munition besorgt hat, ist dagegen weitaus gewöhnlicher: ganz legal beim Waffenhändler.

Täglich Tote durch Schusswaffen – keine Veränderungen

Tote durch Schusswaffen gibt es in den USA täglich. In den Innenstädten der grossen Städte sterben jeden Monat Hunderte Menschen durch Kugeln. Allein in Chicago wurden in diesem Jahr mehr als 430 tödliche Gewaltverbrechen gezählt. An einer High School in Parkland (Florida) erschoss ein junger Mann 17 Menschen.

Doch weder Las Vegas noch Parkland, mit einer weltweit beachteten Anti-Waffen-Kampagne der überlebenden Schüler im Schlepptau, haben die Einstellung zum Erwerb von Schusswaffen in grossen Teilen der USA einschneidend verändert. Die Waffenlobby-Organisation NRA (National Rifle Association) nutzt ihre Lobbymacht, um Gesetzesvorhaben für straffere Regeln zu verhindern.

David Hogg, (m.), ein Überlebender des Amoklaufs an der Marjory Stoneman Douglas High School, in Parkland, Florida (US), spricht zu Demonstranten vor dem Hauptquartier des Waffenherstellers Smith & Wesson in Springfield, Massachusetts (US). - keystone

Im März 2018, Wochen nach den Schüssen von Parkland, twitterte Präsident Donald Trump unter dem Eindruck öffentlicher Empörung: «Wie versprochen, wird heute das Justizministerium mit einer verbindlichen Anhörungszeit eine Regelung herausgeben, um Bump Stocks zu verbieten.» Tatsächlich passiert ist bisher nichts.