Weiter offene Fragen zu drittem Corona-Impfstoff

Die Corona-Impfungen sollen mehr Fahrt aufnehmen - dazu soll auch der nächste Impfstoff beitragen, der kurz vor der Zulassung in Europa steht. Nicht nur bei den Liefermengen gibt es aber ungeklärte Punkte.

Ampullen mit dem Corona-Impfstoff des Herstellers Astrazeneca stehen verpackt in einem Kühlschrank im Ashton Gate Stadium in Bristol. Foto: Andrew Matthews/PA Wire/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Kampf gegen die Corona-Pandemie soll bald ein dritter Impfstoff helfen - doch bei den Einsatzmöglichkeiten für das Präparat des Herstellers Astrazeneca sind wichtige Fragen offen.

So schloss die EU-Arzneimittelagentur EMA am Dienstag nicht aus, dass das Mittel nur für bestimmte Altersgruppen zugelassen wird. Für ältere Menschen lägen wenige Testdaten vor, sagte EMA-Chefin Emer Cooke im Gesundheitsausschuss des Europaparlaments. Das Verfahren laufe aber noch. Es soll bis Ende der Woche abgeschlossen sein.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will dann kommende Woche festlegen, welche Rolle das Präparat bei Impfungen in Deutschland spielen soll. Vorher soll der Hersteller an diesem Mittwoch der EU erklären, ob und wie er alle bestellten Impfdosen kurzfristig liefern kann.

In der Debatte um die Wirksamkeit geht es vor allem darum, wie breit die Datengrundlage für Ältere ist. Denn sie sollen - als besonders Gefährdete für schwere Corona-Verläufe - in der Anfangsphase mit knappen Impfstoffen generell Vorrang haben. In den ersten eingereichten Studien von Astrazeneca waren weniger Ältere beteiligt als bei Studien anderer Impfstoffhersteller, wie das Ministerium erläuterte - das sei auch schon seit Herbst bekannt.

DIE DATENLAGE: Bei einer grösseren Untersuchung mit mehr als 10.000 Probanden wurde für den Astrazeneca-Impfstoff untersucht, wie oft Geimpfte im Vergleich zu einer Kontrollgruppe an Covid erkranken. Die im Fachblatt «Lancet» erschienene Studie kommt zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit rund 70 Prozent beträgt. Das bedeutet, dass unter den Probanden der geimpften Gruppe 70 Prozent weniger Erkrankungen auftraten als unter denen der Kontrollgruppe.

Allerdings heisst es in der Studie auch: Ältere Menschen seien bei den Tests erst spät einbezogen worden. Die Datenlage zum Impfschutz bei Senioren sei deshalb begrenzt, es solle aber weitere Daten geben. Astrazeneca wies am Dienstag auf frühere Ergebnisse hin, wonach der Impfstoff auch bei älteren Menschen eine starke Immunantwort auslöst. Daraus kann aber nicht automatisch ein Impfschutz abgeleitet werden.

Bei den beiden schon zugelassenen Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna gibt es im Gegensatz dazu belastbarere Daten zu Senioren. So schützt das Mittel von Biontech einer Studie zufolge ältere Menschen ähnlich gut wie jüngere. Die Wirksamkeit über alle Altersgruppen wird mit 95 Prozent angegeben. Für Moderna wird diese Wirksamkeit mit 94 Prozent angegeben, bei älteren Menschen liegt sie etwas darunter.

Berichte über eine angeblich geringere Wirksamkeit des Impfstoffs von Astrazeneca bei Älteren wies das Ministerium zurück. Zuvor hatte das «Handelsblatt» berichtet, die Regierung rechne nur mit acht Prozent Wirksamkeit bei über 65-Jährigen. Auch die «Bild»-Zeitung berichtete darüber. Das Ministerium erklärte, auf den ersten Blick schienen da Dinge verwechselt worden zu sein: Rund acht Prozent der Probanden der Astrazeneca-Wirksamkeitsstudie seien zwischen 56 und 69 Jahre alt gewesen, nur 3 bis 4 Prozent über 70 Jahre. Daraus lasse sich aber nicht eine Wirksamkeit von nur acht Prozent bei Älteren ableiten.

DER IMPFSTOFF-EINSATZ: Spahn machte deutlich, dass erst auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse entschieden werde, welche Gruppen das Astrazeneca-Mittel zuerst bekommen könnten - auch welche Altersgruppen. Dabei sei klar: In jeder Altersgruppe gebe es Menschen mit Vorerkrankungen, die sich Impfungen erhofften. Den Impfstoff werde man daher in jedem Fall «natürlich auch gut gebrauchen können».

Tatsächlich richten sich die Impf-Prioritäten nach dem Alter - aber nicht nur. Gerade ist die erste Gruppe dran, zu der über 80-Jährige, Personal und Bewohner in Pflegeheimen sowie Gesundheitspersonal mit dem höchsten Ansteckungsrisiko gehören. In der zweiten Gruppe folgen Ältere über 70, aber auch Menschen mit Trisomie 21, mit Demenz oder geistiger Behinderung. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz riet zum Nachjustieren: Klug wäre es, die Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna zunächst nur über 80-Jährigen zur Verfügung zu stellen, sagte Vorstand Eugen Brysch. Der Impfstoff von Astrazeneca könnte dann für Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen genutzt werden.

Für das erhoffte schnellere Hochfahren der Impfungen hierzulande spielt das Präparat von Astrazeneca dabei eine wichtige Rolle - auch, weil es nicht so aufwendig zu kühlen ist wie das Mittel von Biontech. Mengenmässig hat sich Deutschland bisher mehr als 90 Millionen Dosen von Biontech gesichert, von Moderna rund 50 Millionen Dosen. Für das Präparat von Astrazeneca sollen es rund 56 Millionen aus einer gemeinsamen EU-Bestellung sein. Doch die Zahlen wackeln jetzt.

EU KONTRA ASTRAZENECA: Die EU kämpft darum, überhaupt die bestellten Mengen zu bekommen. Kommissionschefin Ursula von der Leyen mahnte am Dienstag: «Jetzt müssen die Firmen liefern.» Die EU hatte schon im August bis zu 400 Millionen Dosen von Astrazeneca bestellt und nach eigenen Angaben noch 336 Millionen Euro für den Ausbau der Fertigung und eine Produktion auf Halde gezahlt. Doch vorige Woche kündigte die Firma an, zunächst weniger zu liefern als vertraglich zugesichert. Im ersten Quartal sollen 31 Millionen statt 80 Millionen Dosen kommen. Die EU-Staaten reagierten wütend und fragen: Wo ist unser Impfstoff?

Beobachter vermerken spitzfindig, dass Grossbritannien offenbar von dem britisch-schwedischen Konzern weiter beliefert werde. Ein neues EU-Exportregister soll deshalb Lieferströme offenlegen. Der nächste Schritt wäre wohl eine Exportbremse. Der britische Premier Boris Johnson mahnte daraufhin zur internationalen Zusammenarbeit - man könne im Kampf gegen die Pandemie keinerlei Beschränkungen gebrauchen. Denkbar wären auch juristische Mittel. Nur hat die EU daran letztlich kein Interesse - sie will so schnell wie möglich Tempo in ihre holpernden Impfkampagnen bringen. Gedroht wird daher vorerst so: Der Konzern wolle es sich doch wohl nicht mit dem grössten Absatzmarkt verscherzen. Ob das die Firma zum Einlenken bringt und - noch wichtiger - irgendwoher 50 Millionen Dosen aufzutreiben sind, dürfte sich am Mittwochabend zeigen. Dann sollen Konzernmanager erneut zur Krisensitzung bei der EU antreten.