Coronavirus: Schweden wird vom Prügelknaben zum Musterschüler
Die Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigen in Europa unaufhörlich. Die Schweden hingegen blicken auf sinkende Zahlen und entspannt dem Winter entgegen.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Kampf gegen das Coronavirus gehen die Schweden einen anderen Weg als der Rest Europas.
- Die Zahlen in Schweden sinken seit Monaten.
- Laut Staatsepidemiologe Anders Tegnell ist man gut auf den Winter vorbereitet.
In praktisch jedem europäischen Land steigt die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus seit Wochen permanent an. Maskenpflicht, Ausgangsbeschränkungen und Schliessungen von Lokalen und Schulen sind die Folgen davon.
Ganz anders zeigt sich die aktuelle Lage in Schweden. Ganz ohne Verbote oder Schliessungen sinken seit Ende Juni die Zahlen permanent.
Die Zahl der Neuinfektionen der letzten zwei Wochen liegt in Schweden bei 3103. Auf 100'000 Einwohner sind das rund 30. In der Schweiz ist die 14-Tage-Inzidenz ziemlich genau doppelt so hoch – und das bei steigenden Zahlen.
Die Zahl der Verstorbenen in diesem Zeitraum liegt bei 20, in der Schweiz bei 26.
Kritik wegen hoher Sterberate durch Coronavirus
Das skandinavische Land zeichnete sich bereits früh in der Corona-Pandemie dadurch aus, mehr auf Empfehlungen als auf Verbote zu setzen. Der abweichende Weg sorgte für viel Kritik, vor allem wegen der hohen Sterberate.
Staatsepidemiologe Anders Tegnell räumte in einem Interview dem TV-Sender «France 24» folgendes ein: Man habe auf jeden Fall auch Fehler gemacht. Bei über 5000 Verstorbenen liesse sich das nicht bestreiten.
Jedoch sei nicht die Strategie Schuld an der hohen Sterberate. Der Beweis dafür lieferten die seit drei Monaten sinkenden Zahlen, ohne dass man an der Strategie etwas geändert habe.
Die Altersheime seien schlecht auf die Pandemie vorbereitet gewesen. Als sich das Coronavirus in den Pflegeheimen ausgebreitet habe, sei es zu vielen Corona-Toten gekommen.
Tatsächlich weist Schweden mit 580 Todesfälle auf 100'000 Einwohner eine der höchsten Sterberaten weltweit auf. Worldometers listet das Land auf Platz 13.
Keine Maskenpflicht
In Schweden gibt es keine Maskenpflicht. Weder im öV, noch in den Läden.
Die Behörde für öffentliche Sicherheit spricht nicht einmal eine Trage-Empfehlung aus. Die Behörde ist führende Instanz im Land in der Bekämpfung der Corona-Pandemie.
Darauf angesprochen erklärt Tegnell: «Nach aktuellem Wissensstand ist der Effekt von Schutzmasken umstritten. Wenn überhaupt, dann ist der Effekt sehr gering.»
Öffentliche Anlässe nur bis 50 Personen
Schweden setzt auf die Eigenverantwortung und spricht deshalb vor allem Empfehlungen aus. Doch auch in Schweden wurden einschneidende Verbote ausgesprochen.
Öffentliche Veranstaltungen mit über 50 Personen wurden verboten. Darunter fallen etwa Konzerte, Demonstrationen und Sportanlässe. Das Verbot gilt bereits seit Ende März im ganzen Land.
Massnahmen geniessen hohe Akzeptanz
Auch dass es in Schweden keinen Lockdown gegeben hätte, verneint Staatsepidemiologe Anders Tegnell. Es habe sehr wohl einen gegeben, aber einen freiwilligen Lockdown, erklärt er in einem Interview dem TV-Sender «France 24». 80 bis 90 Prozent der Schweden würden sich an die empfohlenen Massnahmen halten.
Wie in anderen Ländern sei etwa auch der öffentliche Verkehr praktisch zum Erliegen gekommen. «Niemand hat den Flugzeugen verboten, abzuheben. Es wollte einfach niemand mehr fliegen», erklärt Tegnell.
Coronavirus: Schweden arbeiten weiterhin im Homeoffice
In Schweden gilt nach wie vor die Empfehlung, wenn möglich im Homeoffice zu arbeiten. Das hat gleich zwei positive Auswirkungen auf die Verbreitung des Coronavirus. Einerseits wird der öffentliche Verkehr entlastet, besonders zu Stosszeiten.
Andererseits wird auch eine der häufigsten Infektionsherde entkräftet. Verschiedene Contact-Tracing-Studien kamen zum Schluss, dass neben dem familiären Umfeld am Arbeitsplatz ein besonders hohes Ansteckungsrisiko besteht.
Zuversichtlich dem Winter entgegen
Schweden hat von Beginn an langfristig geplant und auch so kommuniziert. Die Einschränkungen dürften nicht zu streng sein, damit die Bevölkerung sie auch über Monate hinweg akzeptieren würden. Von Beginn an wurden die Menschen darauf eingestellt, dass das Coronavirus nicht aufzuhalten sei.
Tegnell zeigt sich mit der Strategie zufrieden und bezeichnet ihn als «nachhaltiger Weg». Im Vergleich zum Hin und Her zwischen Lockdown und Lockerungen vieler Länder, könnte der schwedische Weg durchgezogen werden.
Die Eckpfeiler auch für die bevorstehenden kalten Jahreszeiten blieben deshalb auch die gleichen: Social distancing, Homeoffice, Hygienemassnahmen und bei den kleinsten Symptomen zu Hause bleiben.
Tegnell erwartet grössere lokale Ausbrüche im Herbst und Winter, das sei aktuell der grösste Sorgenpunkt. Man bereite sich derzeit darauf vor, diese Infektionsherde so schnell wie möglich identifizieren und bekämpfen zu können.