«Die Dritte Generation»-Ausstellung zeigt Holocaust-Weiterwirken

Die Ausstellung «Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis» eröffnet im Jüdischen Museum Wien.

Das Jüdische Museum in Wien, Judenplatz. (Archivbild) - KEYSTONE/Michele Limina

In wenigen Jahren wird es keine Zeitzeugen mehr geben. Dann werden die letzten Überlebenden des Holocaust gestorben sein. «Niemals vergessen!», heisst es – doch die Shoah lässt sich nicht vergessen. Das Trauma wirkt weiter.

«Es gibt viele Bücher darüber, aber noch keine Ausstellung.» Dies sagte Direktorin Barbara Staudinger am Dienstag bei der Presseführung der Schau «Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis», die am Dienstagabend im Jüdischen Museum Wien eröffnet wird. Die Ausstellung soll im Frühling in das Jüdischen Museum München weitergehen.

Emotionale Erinnerungen durch vielfältige Objekte und Geschichten

Weil es zwar um historische Ereignisse, aber um heutige Gefühle geht, habe man bei der Ausstellungsarchitektur die übliche Zurückhaltung aufgegeben. Aber für Emotionen sorgen die aus den USA, Kanada, Israel und vielen europäischen Ländern stammenden Objekte und vor allem die Geschichten, die sie erzählen. Mit Wandtapeten und Modelleisenbahnanlagen, Graphic Novels und Romanen, Installationen und Bildern wird hier Erinnerung verarbeitet.

Die Enkel hätten die «Mauer des Schweigens», der sich die Kinder der Überlebenden meist gegenübergesehen hätten, oftmals durchbrechen können. Dies schilderte Sabine Apostolo, die gemeinsam mit Gabriele Kohlbauer-Fritz die Ausstellung kuratierte. «Dadurch war der Holocaust in den 80er- und 90er-Jahren präsenter als in den 1960ern.»

Ausstellung zeigt Werke von Beckermann, Spiegelman und Foer

In der Ausstellung begegnet man einigen bekannten Namen. Von Filmemacherin Ruth Beckermann ist ein Auszug von «Die papierene Brücke» zu sehen, von Art Spiegelmann ein Erstdruck seines berühmten «Maus»-Comic. US-Autor Jonathan Safran Foer beschrieb in seinem 2002 erschienenen Roman «Alles ist erleuchtet» seine Reise in den ukrainischen Herkunftsort seines Grossvaters.

Die in Kiew geborene Bachmann-Preisträgerin Katja Petrowskaja verarbeitete die Druckfahnen ihres Romans «Vielleicht Esther», in dem sie an das Massaker in der Schlucht Babij Jar erinnerte, in langen Papierketten, die Vergangenheit und Gegenwart verbinden sollen. Vom Franzosen Christian Boltanski ist seine Fotoinstallation «Le Lycée Chajes» zu sehen. Sie wurde von Eduard Freudmann, der auf einem der Fotos seinen Grossvater Armin erkannte, mit den recherchierten Lebensgeschichten der Abgebildeten ergänzt und weitergeführt.

Erinnerungen an den Holocaust in Kunst und persönlichen Objekten

In der Ausstellung sind künstlerische Verarbeitungen und persönliche Erinnerungsstücke gleichermassen vertreten. In einer Wiener Familie wird der Gebetsmantel des Grossvaters nicht nur als Erinnerung an das einstige Grauen aufbewahrt, sondern diente auch zwei Enkeln als wichtiges Requisit ihrer Hochzeiten. In einer anderen wird das Nähkästchen aus der Zeit, in der der Grossvater versteckt überlebte, in Ehren gehalten.

Die Künstlerin Zsuzsi Flohr hat den Rucksack ihres Grossvaters, der in der Familienüberlieferung dank seiner in den Schulterriemen versteckten Zuckerwürfel beim Überleben eine besondere Rolle spielte, nach den Beschreibungen ihres Vaters nachgebaut. Und musste ein zweites, anders aussehendes Modell anfertigen, weil die Tante, die andere Erinnerungen hatte, mit dem Ergebnis gar nicht zufrieden war.

Ausstellung verbindet Generationen

Zu sehen sind auch harmlose Schwarz-Weiss-Fotografien, die Dan Glaubach von winterlichen Weingärten bei Gumpoldskirchen gemacht hat. Eine klinische Psychologin verwendet diese in ihrer Arbeit mit Überlebenden und deren Nachkommen und berichtet von heftigen Lager-Assoziationen beider Generationen.

Über den Fotos steht ein Zitat der Journalistin und Autorin Anna Goldenberg, die sich in ihrem Buch «Versteckte Jahre» mit der Überlebensgeschichte ihres Grossvaters beschäftigte. «Es schmerzte zu wissen, dass meine Albträume die Wirklichkeit meiner Vorfahren gewesen waren.»

Der Schauspieler Daniel Langbein setzt sich in einer 15-minütigen Performance «Lebenslang» mit der Hinterlassenschaft seines Grossvaters, des KZ-Überlebenden und Widerstandskämpfers Hermann Langbein, auseinander. Die israelische Performerin und Singer-Songwriterin Nitsan Bernstein hat gemeinsam mit dem Musiker Patrick Farrell ein «3rd Generation Cabaret» erarbeitet, in dem auf Englisch, Deutsch, Hebräisch und Jiddisch eine Reise vom Berlin der 1930er-Jahre bis ins Israel der Gegenwart unternommen wird.