Opfer sagt in deutschem Stromschlag-Prozess aus
Eine Frau versetzte im Auftrag eines Fremden aus dem Internet einen heftigen Stromschlag. Vor Gericht in München (D) hat sie nun versucht, das zu erklären.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Mann soll junge Frauen dazu überredet haben, sich selbst Stromschocks zuzufügen.
- Heute Mittwoch sagte eines der Opfer – eine Berliner Studentin – vor Gericht aus.
- Sie sagte, es sei eine doofe Idee gewesen, aber sie habe halt das Geld gebraucht.
Im Aufsehen erregenden Münchner Prozess gegen einen 30-Jährigen, der Mädchen und junge Frauen über Jahre per Skype dazu überredet haben soll, sich selbst heftige Elektroschocks zuzufügen, stellt sich vor allem eine Frage: Warum?
Warum hat der Mann das getan? Aus sexuellen Gründen? Wegen eines Fetischs? Oder weil er – wie die Verteidigung es nahe legt – psychisch krank ist und nur auf sehr seltsame Weise Kontakt zu anderen Menschen suchte? Und warum machten so viele Mädchen und Frauen bei den Strom-Versuchen mit und brachten sich in Lebensgefahr?
88 Mordversuche sind vor dem Landgericht München II angeklagt. Die «Ermittlungsgruppe Strom» der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck kam sogar auf 120 Opfer, wobei nicht alle Fälle angeklagt wurden.
«Ich brauchte halt Geld»
Opfer Nummer 34 aus der Anklage sagt am Mittwoch vor Gericht aus. Die 27-Jährige tritt als eine von zwei Nebenklägerinnen in dem Verfahren auf. Eine selbstbewusste, aufgeräumte, junge Frau. Eine Berliner Doktorandin, die klar sagt: «Ich brauchte halt Geld und dafür hätte man halt Geld bekommen.»
3000 Euro soll der Informatik-Kaufmann, der sich als Wissenschaftler «Raik Haarmann» von der Berliner Charité ausgab, ihr geboten haben, damit sie sich selbst im Rahmen einer angeblichen Schmerzstudie Stromschläge zufügte.
«Das hat einen seriösen Eindruck gemacht», sagt die Biologin. Der angebliche Doktortitel des Mannes habe sie beeindruckt. «Ich komme ja selbst aus dem wissenschaftlichen Bereich.»
Sie nimmt es heute mit Humor
Sie versucht heute, das Ganze, das inzwischen vier Jahre zurückliegt, mit Humor zu nehmen. Sie habe es nicht so mit Elektronik. «Ich habe keine Ahnung von Strom.» Und sie sei zwar Biologin, sagt sie in einer Verhandlungspause – «aber mit Bakterien – nicht mit Menschen». Sie lacht. Alles sei ihr heute «primär total peinlich».
Als der Angeklagte sich nach ihrer Vernehmung bei ihr entschuldigt und sagt, es sei «ein moralischer Fehler» und «schlecht» gewesen, was er mit ihr gemacht habe, nennt sie seine Entschuldigung «stark».
Frau versetzte sich mehrere Stromschläge
Während des angeblichen Experimentes sei sie im November 2015 per Skype angewiesen worden, ein «Löffel-Holzlöffel-Kabel-Gedöns» zu bauen. Vor Gericht wird der Video-Chat gezeigt, den der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft aufgezeichnet haben soll, um ihn sich immer wieder anschauen zu können.
Darin ist zu sehen, wie sie das angebliche Experiment durchführt und wie sie schreit, als sie einen Stromstoss bekommt. «Es tat echt weh», sagt die Zeugin vor Gericht.
Im Video ist zu sehen, wie die junge Frau wieder aufsteht – und sich einen weiteren Elektroschock versetzt. «Muss das wirklich nochmal sein?», fragte sie im Chat. «Ja, leider an beiden Füssen», antwortete der Angeklagte.
«Doofe Idee»
Sie habe sich nach dem Stoss aufgebäumt, sagt die 27 Jahre alte Zeugin heute. Im Video zu sehen ist das nicht. «Ich konnte nicht mehr atmen», sagt sie. «Ich lag dann da irgendwann auf dem Boden.»
Gesehen hat sie die versprochenen 3000 Euro nie. Sie sagt: «Wenn man sich da dann selber 220 Volt durch den Körper gejagt hat, fällt einem auf, dass das echt 'ne doofe Idee war.»