Vor 100 Jahren: Mit Schimpansenhoden zu ewiger Jugend
Schönheits-OPs, Frischzellen oder Hormone: Für den Menschheitswunsch nach Verjüngung hat die Medizin heute so einiges im Köcher. Vor 100 Jahren waren Geschlechtsdrüsen von Affen en vogue.
Das Wichtigste in Kürze
- Vor hundert Jahren brauchte man Geschlechtsdrüsen von Affen zur Verjüngung.
- Diese wurden dabei in den menschlichen Körper verpflanzt.
Schönheits-OPs, Frischzellen oder Hormone: Für den Menschheitswunsch nach Verjüngung hat die Medizin heute so einiges im Köcher. Vor 100 Jahren waren Geschlechtsdrüsen von Affen en vogue.
An diesem Freitag vor 100 Jahren verpflanzte der Mediziner Serge Voronoff erstmals Teile von Schimpansenhoden in den Hodensack eines Mannes, um ihm zu Kraft und Jugend zu verhelfen.
Die Bioethikerin Silke Schicktanz zählt den Franzosen mit russischen Wurzeln zu den Pionieren der Transplantation tierischen Gewebes in Menschen. Zwar gab es bereits Jahrzehnte zuvor Experimente, bei denen etwa Schilddrüsen von Ziegen oder Nieren von Makaken in Menschen verpflanzt wurden. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts betrachtet der Chirurg auch den Einfluss auf körperliche und geistige Frische.
«Voronoff gehört zu einer Denkschule, die das Konzept der Verjüngung verfolgt hat», sagt die Professorin am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin in Göttingen. Für seine Operationen schnitt der Mediziner die Hoden eines Affen in Stücke von etwa zwei Zentimetern Länge, einem halben Zentimeter Breite und einigen Millimetern Tiefe - und nähte sie in das männliche Skrotum ein. Seinen Patienten versprach er die Rückkehr zur Jugend und ein längeres Leben.
Die Experimente sind umstritten. Dennoch findet Voronoff bei seinen Zeitgenossen so regen Zuspruch, dass er für den Nachschub ein eigenes Affenhaus baut. Bis 1923 will er mehr als vier Dutzend solcher Eingriffe vorgenommen haben. 1927 schreibt er, Ärzte auf der ganzen Welt hätten schon mehr als 1000 Hodentransplantationen durchgeführt.
Seinen Erfolg belegt er mit Vorher-Nachher-Fotos. Doch Bioethikerin Schicktanz meint: «Voronoff überinterpretiert wohl seine Ergebnisse.» Dass die Menschen auf späteren Bildern vitaler und besser ernährt aussehen, könnte auf geänderte Lebensumstände und den wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Ersten Weltkrieg zurückzuführen sein. «Über wenige Wochen gab es möglicherweise zudem einen Effekt, den wir von Hormonkuren kennen.»
Grundsätzlich hat Voronoff seinen Patienten wohl nicht übermässig geschadet - allerdings ist auch die medizinische Wirkung überschaubar. «Die Immunreaktion des Körpers war wahrscheinlich nicht so stark wie etwa bei Nieren», sagt Schicktanz. Das heisst: Organe wie Herz, Lunge oder Leber von Tieren stösst der menschliche Körper ab - von Voronoffs Experimenten mit Keimdrüsen sind solche Reaktionen nicht bekannt. Seine Experimente entstehen in einer Zeit, in der die Funktionsweise des Immunsystems eher rudimentär bekannt ist.
Die Transplantationen machen Voronoff international berühmt. Für das US-Magazin «Time» ist er der «Affendrüsen-Mann» («monkey-gland man»), die «New York Times» schreibt von einer «modernen Suche nach dem Jungbrunnen». In Cabarets und Varietés entsteht die frivole Figur des Lustgreises. Und in einem Film der Marx Brothers heisst es 1929 im Song «Monkey-Doodle-Doo»: «If you're too old for dancing, get yourself a monkey gland.» («Wenn du zu alt zum Tanzen bist, hol dir eine Affendrüse.»)
Kurz darauf verglüht der Voronoff-Stern. «In den 20er und 30er Jahren setzt sich ein eugenisches Gedankengut in der Medizin durch», sagt Wissenschaftlerin Schicktanz. Wegen ihrer Experimente seien Ärzte wie Voronoff als «Verunreiniger» des menschlichen Körpers angesehen worden. «Affenmaterial kam zunehmend in die Kritik.»
Wer heutzutage noch den «Affendrüsen»-Einfluss auf den Körper testen möchte, muss eine Bar seines Vertrauens aufsuchen. Seit den 1920ern gibt es den Cocktail «Monkey Gland» aus Gin, Orangensaft, Grenadine und Absinth. Erfunden wurde der Drink angeblich in der berühmten Harry's New York Bar in Paris. Der Name soll zu Ehren Voronoffs gewählt worden sein.