Myonen liefern Hinweise auf Physik jenseits des Standardmodells
Gibt es bisher noch unbekannte Teilchen oder Kräfte? Neue Hinweise aus der Physik verdichten es.
Das Wichtigste in Kürze
- Messungen aus den USA zu Myonen liefern Hinweise auf Abweichungen.
- Das anomale magnetische Dipolmoment könnte demnach grösser sein als theoretisch erlaubt.
- Die Genauigkeit der Messungen soll weiter erhöht werden.
Die Hinweise auf eine neue Teilchenphysik und damit auf die Existenz bisher unbekannter Teilchen oder Kräfte verdichten sich. Das ergeben neue Messungen am US-amerikanischen Forschungslabor «Fermilab» bei Chicago am magnetischen Moment des Myons. Denn die gemessenen Werte weichen von den im physikalischen Standardmodell vorhergesagten ab.
Wie Elektronen besitzen auch ihre schweren Geschwister-Teilchen, die Myonen, ein magnetisches Moment. Dieses wird durch das sogenannte gyromagnetische Verhältnis «g» ausgedrückt. In erster Näherung beträgt dieser Wert für das Myon 2.
«Bei einer präzisen experimentellen Messung von g stellte man aber schon vor siebzig Jahren fest, dass sein genauer Wert leicht – im Promille-Bereich – von 2 abweicht». Das erklärte Gilberto Colangelo gemäss einer Mitteilung der Hochschule. Colangelo ist Direktor des Albert Einstein Center und Professor für Theoretische Physik an der Universität Bern. Die Abweichung von g von 2, kurz «g-2» genannt, ist das sogenannte anomale magnetische Dipolmoment.
Bestätigung durch neue Ergebnisse
Colangelo lieferte letztes Jahr die bisher präzisesten theoretischen Berechnung des anomalen magnetischen Dipolmoments des Myons auf Grundlage des Standartmodells. Die Ergebnisse, auf die er gemeinsam mit Kollegen gekommen war, erschienen damals im Fachmagazin «Physics Reports». Der Vergleich des theoretisch berechneten und des experimentell gemessenen Werts zeigt, ob eine Physik jenseits des Standardmodells existieren könnte.
Die am Mittwochabend vorgestellten vorläufigen Ergebnisse der «Muon g-2»-Kollaboration bestätigen nun: Das anomale magnetische Moment von Myonen scheint tatsächlich grösser zu sein als theoretisch erlaubt. Bereits vor zwanzig Jahren hat sich das am US-amerikanischen Brookhaven National Laboratory angedeutet.
Genauigkeit soll weiter erhöht werden
Die Signifikanz der Messungen haben sich dabei von 3,7 Sigma auf 4,2 Standardabweichungen erhöht. Das bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Abweichung zwischen Experiment und Theorie zufällig ist, beträgt 0,0025 Prozent. Bei Werten von drei Standardabweichungen sprechen Physiker von «Hinweisen», bei fünf Standardabweichungen von einer «Entdeckung».
Die experimentellen Teilchenphysiker zielen darauf ab, die Genauigkeit ihrer Messungen weiter zu erhöhen. Parallel arbeiten die Theoretiker an noch präziseren Berechnungen. «Wenn durch Verbesserung der Messungen und der theoretischen Berechnungen die Abweichung bestätigt und potenziell sogar grösser wird, kann das jetzige deutliche Zeichen einer Physik jenseits des Standardmodells hoffentlich als Entdeckung deklariert werden», so Colangelo.