Filmfestival Locarno: Viel weniger Regisseurinnen als Regisseure
Im Wettbewerb des Filmfestivals von Locarno sind dieses Jahr mehrere starke Frauenporträts zu sehen. Doch nur 3 von 15 Filmen stammen von Regisseurinnen.
Das Wichtigste in Kürze
- Beim Locarno Filmfestival sind viele Frauen vor der Kamera.
- Auf dem Regisseur-Stuhl nehmen aber nur wenige Platz.
- Um das zu ändern, hat das Festival eine Charta für Gleichstellung unterzeichnet.
Am Sonntag ist am Festival eine Charta für Gleichstellung und Diversität unterzeichnet worden. Locarno ist nach Cannes das zweite Filmfestival, dass der Charta beigetreten ist. Damit verpflichtet sich die Leitung, eine Statistik zu erfassen, Transparenz über die Zusammensetzung der Auswahlkommissionen herzustellen und in seinen Organen einen Plan zur Gleichstellung umzusetzen.
Er unterzeichne die Charta mit Überzeugung, sagte Festivalpräsident Marco Solari anlässlich der Unterzeichnungszeremonie vom Sonntagmorgen. Das Festival stehe für Werte ein und dazu gehöre auch die Gleichberechtigung.
Die Schweizer Filmregisseurin und Charta-Patin Ursula Meier sprach ihrerseits von einem "historischen Moment". Meier ist Mitglied des Swiss Women's Audiovisual Network (SWAN), das die Charta initiiert hatte.
Starke Frauenfiguren auf der Leinwand
Isabelle Chassot, Direktorin des Bundesamtes für Kultur (BAK) forderte in ihrer Grussbotschaft die anderen Festivals auf, dem Beispiel Locarnos zu folgen. Chassot verwies auf die beim BAK bereits eingeleiteten Massnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit bei der Filmförderung.
Obwohl die Regisseurinnen in Locarno untervertreten sind, sind heuer im Internationalen Wettbewerb mehrere Filme mit starken Frauenfiguren zu sehen - darunter etwa die nach ihren Protagonistinnen benannten Porträtfilme "Diane", "Alice T." und "Sibel".
Im eindringlichen "Diane" von US-Regisseur Kent Jones inkarniert die Schauspielerin Mary Kay Place eine US-amerikanische Mittelstandsfrau, die sich für andere aufopfert, selber aber immer einsamer wird. Im rumänischen Teenager-Drama "Alice T." fokussiert Regisseur Radu Muntean auf eine Mutter-Tochter-Beziehung.
Und das türkisch-französische Regiepaar Çağla Zencirci/Guillaume Giovanetti lässt die stumme "Sibel" (Daml Sönmez) sich mit aller Kraft gegen ihre Ausgrenzung aufbegehren.
Ein Mutmacher für das "Empowerment" von Frauen ist auch der am Sonntag in der Kritikerwoche uraufgeführte Schweizer Dokumentarfilm "#Female Pleasure" von Barbara Miller. Die Zürcher Regisseurin ("Forbiden Voices") porträtiert fünf Frauen, die in ihren jeweiligen Kulturen gegen die Unterdrückung weiblicher Sexualität kämpfen.
So floh die Jüdin Deborah Feldman samt Kind aus ihrem ultraorthodoxen New Yorker Umfeld und prangert nun von Berlin aus als Schriftstellerin die Reduktion der Frauen auf die Rolle von "Gebärmaschinen" an.
Schweizer Dokfilm als Mutmacher
Die frühere Nonne Doris Wagner ging ihrerseits an die Öffentlichkeit, nachdem weder die Justiz noch der Vatikan etwas gegen den Pater unternahmen, der sie jahrelang vergewaltigt hatte.
Von London aus kämpft die Somalierin Leyla Hussein gegen Genitalverstümmelung, und in Indien setzt sich die Aktivistin Vithinka Yadar mit ihrer Plattform "Love matters" für das Recht auf Liebesheiraten ein.
In Japan wiederum bricht die Künstlerin Rokudenashiko mit ihren Vagina-Mangas gesellschaftliche Tabus - und muss sich wegen "Obszönität" vor Gericht verantworten.
Diese fünf eindrücklichen Biographien sind viel Stoff für einen einzigen Film, der mitunter etwas plakativ wirkt. Trotzdem ist "#Female Pleasure" ein aufrüttelndes Instrument einer Kampagne, die Frauen weltweit Mut macht, sich gegen Unterdrückung zu wehren und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.