Influencer rufen zum Rohmilch-Trinken auf – Expertinnen warnen

In den USA sorgten Gesundheits-Influencer für einen Boom – jetzt ist der Trend auch zu uns übergeschwappt: Rohmilch. Expertinnen warnen.

So werben Influencer im Netz für Rohmilch – damit ernten sie teils heftige Kritik. - Tiktok/@thehappyjewtalian

Das Wichtigste in Kürze

  • Rohmilch hat mehr Mikronährstoffe als verarbeitete Milch.
  • Influencer promoten sie deshalb als Superfood.
  • Doch der Konsum von Rohmilch birgt auch Risiken – besonders für Kinder und Ältere.

«Rohmilch ist eine tolle Quelle für leichtverdauliche Nährstoffe wie Protein, Cholin, Kalzium, Vitamin K2. Und es ist toll für die Knochengesundheit!», sagt eine US-Influencerin. Dazu macht sie sich einen Kaffee mit unpasteurisierter Milch.

Das Video ist nur eines von vielen mit solchen und ähnlichen Botschaften. Und der Influencer-Trend zeigt Wirkung: Das US-Gesundheitsportal «Healthline» schrieb im Frühling, «das Interesse an Rohmilch steigt rapide an».

Vitamine, Protein und gesunde Knochen – klingt alles toll. Doch die Influencerin wird mit hässigen Kommentaren eingedeckt.

Denn: Rohmilch kann gefährlich sein. In den USA warnen die Gesundheitsbehörden gar explizit vor dem Trinken. Dort besteht die Gefahr, sich mit der Vogelgrippe anzustecken.

Salmonellen und blutiger Durchfall drohen

Nun kommt der Trend offenbar auch in der Schweiz an. Nau.ch sind mehrere Fälle von Personen bekannt, die nur noch Rohmilch trinken – ganz zur Sorge von Gesundheits- und Ernährungsexpertinnen.

Alda Breitenmoser ist Kantonschemikerin im Aargau und Präsidentin des Verbands der Kantonschemikerinnen und -chemiker.

Sie warnt bei Nau.ch: «Rohmilch kann auch in der Schweiz mit krankheitserregenden Bakterien kontaminiert sein. Vom Konsum von Rohmilch rate ich deshalb ab.»

Umfrage

Würdest du in der Schweiz Rohmilch trinken, ohne sie abzukochen?

Ja, das Risiko nehme ich in Kauf.
46%
Nein, das wäre mir zu gefährlich.
54%

Konkret besteht die Gefahr, sich mit Salmonellen, sogenannten Campylobacter oder enterohämorrhagischen Escherichia coli anzustecken. «Diese Krankheitserreger verursachen Bauchkrämpfe, Durchfälle – teilweise blutige – und Fieber. Ein Befall weiterer Organe ist möglich.» Immerhin: Ein Vogelgrippe-Risiko besteht laut BAG hierzulande aber nicht.

Breitenmoser betont, dass diese Gefahren sowohl für Kinder als auch für Erwachsene gelten. Die Zürcher Ernährungsberaterin Maria Imfeld ergänzt, dass «Kinder und ältere Menschen noch viel empfindlicher sind auf krankmachende Keime».

«Natürlich kontrolliert das niemand»

«Wichtig zu wissen ist: Rohmilch ist rechtlich gesehen nicht genussfertig und kein Lebensmittel», sagt Sandra Helfenstein vom Bauernverband zu Nau.ch. Deshalb ist auch nicht bekannt, ob die Nachfrage gestiegen ist – es werden keine Verkaufszahlen erfasst.

Sie betont: «Rohmilch ist vor dem Konsum aufzukochen, um allfällige Keime abzutöten. Natürlich kontrolliert das niemand und Rohmilch-Jüngerinnen und -Jünger werden die Milch auch ungekocht trinken oder verarbeiten. Das tun sie auf ihre eigene Verantwortung.»

Insgesamt sei Rohmilchverkauf früher aber viel weiter verbreitet gewesen als heute. In den ländlichen Regionen sei es in den 60er- und 70er-Jahren die Norm gewesen, diese auch als «frische Milch» bekannte Milch zu holen.

Nachteile «überwiegen in jedem Fall»

Die gute Nachricht: Ein grosses Problem scheint der Rohmilch-Trend in der Schweiz (noch) nicht zu sein. Zumindest ist dem BAG bislang keine Häufung von Ansteckungen durch Rohmilch bekannt, wie es auf Anfrage mitteilt.

Und was ist mit den von Influencern angepriesenen Vorteilen? Ernährungsberaterin Imfeld erklärt, dass es dazu noch wenige Studien gebe. «So kann ich keinen gesundheitlichen Vorteil nennen, für den es genug Beweise gibt.»

Dem BAG ist (noch) keine Häufung von Ansteckungen wegen Rohmilch in der Schweiz bekannt. (Archivbild) - keystone

Es könnte jedoch positiv sein, dass sie weniger verarbeitet ist. «Wir haben auch kein Gebinde, das dann entsorgt werden muss und wenig Transportwege. Das beeinflusst die Ökobilanz vermutlich recht.» Zahlen dazu kenne sie aber nicht.

Kantonschemikerin Breitenmoser sagt, ihr seien keine Vorteile bekannt. Aber: «Sofern solche vorhanden sind, überwiegen in jedem Fall die Nachteile und Risiken.»