Können Schweizer Behörden Corona-Hotspots genug früh erkennen?

Die Behörden sehen sich gut gewappnet, um Corona-Hotspots zu erkennen. Epidemiologin Olivia Keiser bezweifelt dies jedoch und fordert Transparenz bei den Daten.

Diverse Partys und eine Fleischfabrik entwickelten sich zu Corona-Hotspots. - Instagram/Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Behörden sehen sich gut gewappnet, um Corona-Hotspots zu erkennen.
  • Epidemiologin Olivia Keiser bezweifelt dies jedoch und fordert Transparenz bei den Daten.
  • Die grösste Gefahr sieht sie derzeit bei Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen.

Die Kettenansteckungen in der Tönnies-Fleischfabrik sorgten über die deutschen Grenzen hinweg für Aufregung. Kürzlich wurde ausserdem bekannt, dass sich auch in einer Berner Grossmetzgerei während der ersten Welle zahlreiche Mitarbeitende mit dem Coronavirus ansteckten. Von dieser Häufung in einem einzelnen Unternehmen merkten die Behörden allerdings nichts.

Die Gesundheitsdirektion des Kanton Berns bestätigt, dass die Fälle vom Kantonsarzt registriert wurden. «Die damalige Erhebung basierte auf den gültigen Vorgaben», schreibt Kommunikationsleiter Gundekar Giebel auf Anfrage. «Social Distancing» und «Lockdown» lautete damals noch die Devise. Ein Contact Tracing war zu dieser Zeit nicht umsetzbar, die Lage war dazu zu unübersichtlich.

Behörden sehen sich gut gewappnet

Doch heute sei man besser ausgerüstet, unter anderem sei dazu eine neue Software zur Datenanalyse in Kürze im Einsatz. Die Contact Tracers seien auf das Erkennen von Clusters geschärft. Man sei nun also in der Lage «Übertragungsketten und Clusters schneller zu erkennen».

Mehrere Personen wurden nach dem Besuch des Zürchers Clubs Exil positiv auf das Coronavirus getestet (Symbolbild). - Keystone

Das Contact Tracing Center CONTI des Kantons Aargau setzt ebenfalls auf eine spezifisch entwickelte Software zur Datenanalyse. Man habe gute Erfahrungen bei der Nachverfolgung gemacht und eine hohe Kooperationsbereitschaft erlebt. «Die Infektionsketten können gegenwärtig in zwei Drittel der Fälle zurückverfolgt werden. Rund 10 Prozent der Personen in Quarantäne erkranken.»

Beim Gesundheitsdepartement Basel-Stadt zeigt man sich zuversichtlich, dass man «eine Häufung von Covid-19-Fällen in einem Betrieb mit grosser Wahrscheinlichkeit erkennen würde».

Epidemiologin kritisiert Datenerhebung

Ob die Behörden in der Lage wären, Corona-Herde zu identifizieren, sei derzeit schwierig abzuschätzen, sagt Olivia Keiser, Epidemiologin der Universität Genf und Mitglied der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes. Das Problem sei, dass nicht die Daten aller Kantone öffentlich zugänglich seien. Verschiedene Kantone benutzten auch unterschiedliche Datenerhebungssysteme, was eine gemeinsame Analyse verkompliziere, sofern die erhobenen Daten nicht standardisiert werden.

«Das Beispiel von dem Superspreading Event in einem Zürcher Club hat gezeigt, dass das Contact Tracing nicht immer optimal funktioniert. Leider zeigen die schon öffentlichen Daten auch, dass viele Ansteckungen nicht zurückverfolgt werden können.»

Keiser hofft deshalb, dass «diese Daten bald beim BAG vereinheitlicht werden, und dann auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können».

«Die Transmissionsketten müssen auch zwischen Kantonen rückverfolgt werden können. Ein Ausbruch an einem Ort kann sehr einfach zu einem anderen Ausbruch an einen anderen Ort führen.» So geschehen bei den Ausbrüchen in den Clubs in Spreitenbach AG und Zürich. Die kantonalen Behörden schreiben zwar auf Anfrage, die Zusammenarbeit der Kantone funktioniere gut. Wie diese aber genau aussehe, lassen sie offen.

Die Veröffentlichung der Daten in einem standardisierten Format ist neben der interkantonalen Zusammenarbeit auch für die Wissenschaft sehr wichtig. «Wir müssen die Transmissionsdynamik und –Netzwerke unbedingt besser verstehen, um Massnahmen möglichst effizient einsetzen zu können.»

Menschenansammlungen in Innenräumen als Gefahr

Die grösste Gefahr im Zusammenhang mit dem Coronavirus sieht Keiser «bei grossen Menschensammlungen, besonders in Innenräumen». Dort bestehe immer ein Risiko von einem lokalen Ausbruch. «Besonders wenn die Leute während einer kurzen Zeit sehr mobil sind (beispielsweise Besuch mehrerer voller Clubs/Bars während einem Abend/Wochenende), wird die Kontaktverfolgung kompliziert.»

«Menschensammlungen, nicht vollständig funktionierendes Contact Tracing, und ungenügende Selbstverantwortung und Solidarität sind eine gefährliche Kombination.»