Nachtleben wartet mit neuen Formaten auf

Single-Party, Kuschel-Raves und Silent Disco: Mit neuen Formaten will das Schweizer Nachtleben dem Clubsterben trotzen. Junge Veranstalter sehen so eine Chance.

Das Nachtleben an der Europaallee. - Keystone

Techno kombiniert mit Lesungen, Spendenaktionen oder flauschigen Teppichböden. So versuchen Veranstalter, junge Menschen wieder für das Nachtleben zu begeistern. Für viele Clubs ist das eine Frage der Existenz.

Denn der Ausgang ist im Umbruch. In den letzten Jahren mussten reihenweise Clubs schliessen – in Zürich, Bern, Basel, Luzern oder auch in Genf. Selbst einstige Institutionen des Nachtlebens haben aufgegeben.

Branchenkenner nennen dafür verschiedene Gründe: Die jüngere Generation trinke weniger Alkohol und bleibe öfter zu Hause. Und viele geniessen seit der Pandemie das Feiern im kleineren Rahmen.

Auch der Musikgeschmack und das Datingverhalten haben sich verändert, unter anderem durch Tiktok, Tinder und Co. Und das in einem Umfeld, in dem Inflation und Gentrifizierung die Kosten der Clubs in die Höhe treiben.

Das geht dem Nachtleben an die Substanz: Seit 2018 ist der Pro-Kopf-Konsum in Zürcher Clubs um ein Drittel gesunken, wie eine Erhebung der Bar- und Clubkommission Zürich zeigt. Der Anteil der Gäste unter 25 Jahren ging um mehr als ein Viertel zurück.

«Die Clubs spüren schweizweit eine Konzentration auf den Samstag», sagt Alexander Bücheli, Sprecher der Schweizer Bar- und Clubkommission, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. Die fehlenden Einnahmen am Donnerstag und Freitag erhöhten den Druck zusätzlich.

Auch der rückläufige Alkoholkonsum lasse sich wirtschaftlich nur schwer kompensieren: «Man trinkt in der Regel nur ein bis zwei Mocktails pro Abend, nicht drei bis vier.»

Club als Szenetreffpunkt ist in den Hintergrund getreten

Der Verband fordert daher mehr staatliche Unterstützung, und damit verbunden eine Aktualisierung des Kulturbegriffs. Aber auch die Branche selbst sei gefordert, Räume beispielsweise an Firmenkunden zu vermieten sowie wieder mehr Formate für ein junges Publikum ab 16 anzubieten.

Aus Szenekreisen ist von einer gewissen Clubmüdigkeit zu hören. «Die Leute haben keine Lust mehr, an der Tür abgewiesen zu werden», sagt einer, der selbst gerne ausgeht und internationale Nightlife-Trends verfolgt. Dafür seien die DJs stärker in den Mittelpunkt gerückt.

In den USA, Frankreich oder den Niederlanden finden Partys beispielsweise in Parks, auf privaten Dachterrassen oder sogar in Bäckereien statt. Der Club als Szenetreffpunkt tritt in den Hintergrund. Die Locations müssen nun mit ihren Formaten um das Publikum werben, was gerade junge Akteure reizt.

Beliebt sind hierzulande etwa nischige Rave-Formate wie die des feministischen DJ-Kollektivs F96. Hier stehen Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, trans und agender Personen – sogenannte «Flinta» – am Mischpult und alle Anwesenden sollen sich wohlfühlen. Oft werden die Veranstaltungen auch mit Lesungen, Workshops oder Kunstausstellungen kombiniert.

«Ich fühle mich heute viel wohler im Ausgang als früher», sagt Kollektivmitglied Elsa Wuchner. Die 29-Jährige legt neben ihrer Arbeit als Psychiaterin als Techno-DJ auf und organisiert ab und zu Veranstaltungen.

«Vielleicht braucht es immer wieder eine Zeit, in der sich die Clubkultur ändern muss», meint sie. Da junge Menschen im Nachtleben weniger konsumierten und durch Social Media an konstante Stimulation gewöhnt seien, bräuchten sie womöglich mehr Reize im Ausgang. «Die Frage ist: Ist das Konzept 'Ausgehen, Zahlen, Tanzen' noch interessant genug?»

Diesen Eindruck bestätigen auch andere Stimmen aus der alternativen Szene: «Es geht nicht mehr nur darum, die Leute zuzuballern», sagt eine Raverin aus Basel. Statt des Eskapismus der 80er und 90er Jahre sei heute ein Bedürfnis da, sich zu verbinden. Dafür brauche es Inhalte und eine angenehme Atmosphäre.

Eine normale Entwicklung

Dieses Ziel verfolgt auch Luca Sulzer mit seinem Label Nachtschicht. «Wir versuchen, einen kleinen, familiären Rahmen zu schaffen, eine Stimmung wie an einer WG-Party», sagt der 26-Jährige, der neben seinem Hobby als Techno- und House-DJ Lehrer ist.

Das Aufpoppen neuer Formate abseits der herkömmlichen Technoclubs empfindet er als eine normale Entwicklung: «Wenn eine Strömung zu gross wurde, haben sich schon immer neue Subszenen entwickelt.»

Als DJ macht ihm das Clubsterben allerdings aus persönlichen Gründen Sorgen: Es werde für junge DJs immer schwieriger, eine Plattform zu finden, um ihre Leidenschaft auszuleben. «Es wird wohl einen Verdrängungskampf geben», sagt er.

Die Branche wandelt sich also und alte Strukturen bröckeln. Der Ostschweizer DJ Ray Douglas, seit 25 Jahren im Nachtleben aktiv, sagt: «Die Partylust ist ungebrochen, aber das Angebot hinkt hinterher.»

Die alte Zauberformel – 25 Franken Eintritt für einen oder zwei DJs – sei passé. «Die Leute wollen heute ein grösseres, umfassenderes Erlebnis.»

Er selbst organisiert zum Beispiel sogenannte Silent Disco Partys mit Tausenden von Besuchern sowie eine beliebte Trash-Pop-Reihe in einem Zürcher Club. Zudem probiert er immer wieder neue Formate aus, wie zum Beispiel einen Brunch-Rave.

Nur eines hat sich nicht geändert: «Die Hauptfunktion des Nachtlebens ist das Loslassen, unabhängig von der Musikrichtung und der Zielgruppe. Entweder man will den Alltag abfeiern oder ihn vergessen.» Und das könne man nun mal besser unter Menschen und Musik als zu Hause vor dem Bildschirm.