«Pandemie»: Darum schiesst die Obdachlosen-Zahl in Bern in die Höhe

Riccardo Schmidlin
Riccardo Schmidlin

Bern,

Über den Winter platzte die temporäre Notschlafstelle in Bern aus allen Nähten. Seit 2021 hat sich die Zahl der Obdachlosen verdoppelt – auch wegen Corona.

Obdachlosigkeit
In Bern steigt die Obdachlosigkeit markant an. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Zahl der Obdachlosen in Bern hat sich seit 2021 verdoppelt.
  • Die Stadt vermutet Corona-Folgen und volle Psychiatrien als Gründe.
  • Die Basler Notschlafstelle hat hingegen eine konstant tiefe Auslastung.
  • Und auch in Zürich ist ein Anstieg nur bedingt spürbar.

Innerhalb von vier Jahren hat sich die Zahl der Obdachlosen in der Stadt Bern verdoppelt!

Zählte die Sozialarbeit 2021 noch durchschnittlich 21 Personen, waren es im letzten Jahr durchschnittlich 48 Personen. Allerdings rechnet die Stadt mit einer Dunkelziffer – die effektive Zahl liegt also wohl noch höher.

Das macht sich bemerkbar.

Die temporäre Winter-Notschlafstelle im ehemaligen Tiefenauspital war mit durchschnittlich 17 bis 18 Personen pro Nacht hoch ausgelastet. Im November und im Dezember wurde die maximale Kapazität mit 20 Personen pro Nacht regelmässig erreicht, wie die Stadt meldete.

Die Stadtberner Sozialdirektorin Ursina Anderegg (Grünes Bündnis) erklärt bei Nau.ch: «Für den Anstieg der Zahl obdachloser Menschen in der Stadt Bern können verschiedene Ursachen vermutet werden.»

Einerseits die Überlastung psychiatrischer Kliniken in der Schweiz und andererseits die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie.

Hälfte der Obdachlosen hat psychische Probleme

«Circa 50 Prozent der obdachlosen Menschen in der Stadt Bern leiden an zum Teil gravierenden psychischen Erkrankungen. Häufig kombiniert mit einer Suchterkrankung», verweist sie.

Oft stehen keine Angebote zur Verfügung – oder die Schwelle ist hoch. «Faktisch erhalten sie nicht die nötige Gesundheitsversorgung», so Anderegg.

Dazu komme: «Die Situation von Personen, die bereits vor der Pandemie in prekären Verhältnissen lebten, wurde tendenziell verschärft.» Das zeige sich auch an der hohen Nachfrage nach Lebensmittelspenden sowie bei der Unterstützung durch Hilfswerke und Kirchen.

obdachlos
In der Schweiz sind etwa 1700 Menschen obdachlos. (Symbolbild). - dpa

Sie betont allerdings: «Belastbare, wissenschaftliche Erkenntnisse liegen nicht vor.»

Ein Grossteil der Obdachlosen hat keinen Schweizer Pass. Und: «Gemäss empirischen Erhebungen liegt der Anteil obdachloser Personen ohne offiziellen Aufenthaltsstatus in Bern bei circa 35 bis 40 Prozent.»

Während die Obdachlosen-Zahlen in Bern steigen, gibt es in Basel-Stadt keine entsprechenden Hinweise.

Basler Notschlafstelle hat «konstant tiefe» Auslastung

Dort gibt es zwar keine konkreten Daten zur Entwicklung. Einen Hinweis geben jedoch die Übernachtungszahlen der kantonalen Notschlafstellen. «Bei beiden ist die Auslastung seit längerem konstant tief», sagt Bereichsleiterin Jacqueline Lätsch zu Nau.ch.

Bei der Basler Notschlafstelle für Männer (76 Betten) lag die Auslastung im März 2025 zuletzt bei 41 Prozent. Bei jener für Frauen (20 Betten) lag sie bei 57 Prozent.

«Auch die Entwicklung in der Sozialhilfe weist nicht auf eine starke Erhöhung der Obdachlosigkeit hin», sagt sie.

In der Stadt Zürich sind die Auslastungszahlen der Notschlafstelle zum vergangenen Jahr noch nicht publiziert. Von 2022 auf 2023 stieg die Zahl der Personen in der Notschlafstelle von total 464 Personen auf 634.

Stadt Zürich: «Nie jemand aus Platzgründen abgewiesen»

Nadeen Schuster von den sozialen Einrichtungen und Betriebe der Stadt Zürich sagt zu Nau.ch: «In der Notschlafstelle musste in den letzten sicher 20 Jahren nie jemand aus Platzgründen abgewiesen werden. Für Menschen in Not fand sich immer ein Bett für eine Nacht.»

Notschlafstelle Zürich
So haben sich die Zahlen der Notschlafstelle Zürich entwickelt. - zvg

Des Weiteren betreut die Sozialarbeit rund drei Dutzend Menschen, die es bevorzugen, ganzjährig im Freien zu übernachten. «Diese Zahl ist relativ konstant», so Schuster.

Im öffentlichen Raum Zürichs gebe es jeweils über die Wintermonate eine Zunahme von Armutsreisenden.

Das Durchschnittsalter der Notschlafstelle, die sich primär an Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher richtet, liegt bei 43 Jahren. «Männer machen rund 80 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer aus.»

Sans Papiers besonders von Obdachlosigkeit betroffen

Die Fachhochschule Nordwestschweiz veröffentlichte 2021 eine umfassende Studie zum Thema Obdachlosigkeit. Institutsleiter Jörg Dittmann erklärt auf Anfrage von Nau.ch: «Obdachlosigkeit ist für die wenigsten ein Notfall, sondern Alltag für längere Zeit.»

Die mittlere Schätzung für die Anzahl Obdachloser in der Schweiz lag damals bei 1700 Personen. Als häufigste Gründe für Obdachlosigkeit nannten die Betroffenen finanzielle Probleme, den Verlust der Arbeit oder eine Mietkündigung.

Kennst du jemanden, der von Obdachlosigkeit betroffen ist oder war?

Besonders betroffen sind Personen ohne gültige Papiere – sogenannte Sans Papiers. Ihnen bleibt oft der Zugang zu Wohnung und Hilfe verwehrt.

Der Experte fordert «mehr Prävention» und «politische Klarheit im Umgang mit Sans Papiers». Langfristig brauche es auch «die Umwandlung eines Teils der Notschlafstellen in Wohnungen», als «Housing First» bekannt. Das gibt es zum Beispiel bereits in Basel-Stadt.

Stadt Bern schafft zusätzliche Notschlafplätze

Auch die Stadt Bern, die seit 2021 eine Verdopplung der Obdachlosenzahlen verzeichnet, will die Wohn- und Obdachlosenhilfe entsprechend weiterentwickeln.

Als Sofortmassnahme zur Entlastung der seit längerem überlasteten Regelangebote, schafft die Stadt bereits über die Wintermonate jeweils Notschlafplätze.

2025 sollen zusätzliche Leitungsverträge mit Wohnanbietern für die Schaffung von 45 zusätzlichen Notschlafplätzen abgeschlossen werden. Davon 18 für Frauen und sieben für Jugendliche.

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Kommentare

User #4075 (nicht angemeldet)

Der Beamtenfilz ist riesig.

User #2229 (nicht angemeldet)

Zaffaraya dient der Stadt als Vorbild zusammen mit der Rrithalle!

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