Darum wächst die Bahnhofsszene in Bern
In Bern versammeln sich in letzter Zeit wieder mehr randständige Personen. Mit Obdachlosigkeit und Inflation hat das aber nichts zu tun.
Das Wichtigste in Kürze
- Immer mehr Menschen versammeln sich derzeit am Bahnhof Bern.
- Die Stadt zeigt sich aber ob der Zunahme der Szene nicht beunruhigt.
- Die meisten Leute würden sich angemessen verhalten. Einige Beschwerden gibt es trotzdem.
Die Szene am Bahnhof Bern wächst. «Tatsächlich hat es im Moment zwischendurch ziemlich viel mehr Leute als normalerweise», beobachtet Silvio Flückiger von der aufsuchenden Sozialarbeit Pinto.
Es stimme, dass es im Winter in Bern eine deutliche Zunahme an Obdachlosen gab. Das hat aber nur wenig Einfluss auf die Szene. «Es liegt vor allem am Wetter. Obdachlose ziehen sich meist eher zurück, suchen die Ruhe», so Flückiger.
Anders die Gruppen am Bahnhof Bern neben der Heiliggeistkirche. «Dass sie sich dort treffen können, hilft vielen gegen Einsamkeit.»
Eine weitere mögliche Erklärung: «Es gibt auch immer wieder Leute, die herumreisen. Zum Beispiel deutsche Punks, die dann vorübergehend hier sind.»
Auch Eva Gammenthaler von der kirchlichen Gassenarbeit ist aufgefallen, dass sich wieder mehr Leute am Bahnhof aufhalten. Sie glaubt ebenfalls an saisonale Gründe.
Aber: «Es ist so, dass es den Leuten sicher grundsätzlich schlechter geht.» Ob es einen Zusammenhang zwischen Teuerung und Szene-Zuwachs gibt, kann sie jedoch nicht beurteilen.
Szene-Zuwachs beunruhigt Stadt Bern nicht
Beunruhigend ist die Entwicklung nicht, sagt Flückiger. «Uns ist wichtig, dass eine Durchmischung möglich bleibt, dass sich andere Leute auch dort niederlassen können.» Das sei weiterhin der Fall.
Klar ist aber: Wo viel Alkohol fliesst und die unterschiedlichsten Menschen aufeinandertreffen, gibt es auch Konflikte. Kürzlich etwa prügelten sich am Bahnhof zwei Personen und schrien sich Beleidigungen zu.
Da kommt es hin und wieder zu Beschwerden aus der Bevölkerung, wie die Kantonspolizei Bern auf Anfrage von Nau.ch bestätigt. «Es ist jedoch keine Häufung feststellbar.»
Auch Flückiger hat in den letzten Wochen nur eine Beschwerde erreicht. «Da hat jemand am Bahnhof Fussball gespielt und seinen Hund dem Ball nachrennen lassen», sagt er.
«Dann bitten wir die Leute jeweils darum, sich angemessen zu verhalten. Das tun die allermeisten aber auch – sie stehen ja einfach dort und sind nicht gefährlich.»
Sozialarbeiter lobt: «Leute nehmen eigene Abfallsäcke mit»
Viele aus der Szene würden sich sogar besser verhalten als die breite Bevölkerung, so Flückiger. «Ein Beispiel: An einer beliebten Stelle hat die Stadt Abfalleimer abmontiert. Jetzt nehmen die Leute einfach ihre eigenen Abfallsäcke mit.»
Dass die Personen sich mitten im Zentrum versammeln, stört Pinto nicht. «Sie sollen die Wahl haben. Aber es gibt genug alternative Orte, wo sie sich treffen können.»
Dem widerspricht Gassenarbeiterin Gammenthaler: «Es bräuchte mehr Treffpunkte ohne Konsumpflicht.» Allgemein ist sie überzeugt, dass mehr für die Menschen getan werden müsste.
«Die Armut steigt, und der Grundbedarf an Sozialhilfe bleibt genau gleich – trotz Teuerung. Dort müsste man ansetzen.»