Sehbehinderte fühlen sich trotz Masken-Dispens diskriminiert

Ohne Maske im ÖV? Laut BAG-Verordnung für Personen mit Attest möglich. Eine Person mit körperlicher Beeinträchtigung erlebt dies im Alltag jedoch anders.

Seit dem 6. Juli 2020 gilt im öffentlichen Verkehr eine Maskenpflicht. (Archivbild) - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Wer im ÖV keine Schutzmaske trägt, kann aus dem Zug geworfen und angezeigt werden.
  • Wenn man jedoch ein Attest hat, ist das Reisen ohne Maske gestattet, so will es das BAG.
  • Barbara Müller (SP) findet, dass diese Verordnung alles andere als beachtet wird.

Wer im Zug oder im Supermarkt keine Maske trägt, fällt auf. Und dies nicht im positiven Sinne, wie das Beispiel einer Maskenverweigerin bei SRF diese Woche gezeigt hat. Eine Waldspielgruppenleiterin trägt aus Überzeugung keine Maske und löst eine Welle der Empörung aus.

Doch nebst Maskenverweigerern und Querdenkern gibt es auch Personen, die aus gesundheitlichen Gründen auf den Mund- und Nasenschutz verzichten müssen.

So auch Barbara Müller, SP-Kantonsrätin im Thurgau, welche sehbehindert ist. Ausserdem leidet sie nach mehreren Lungenembolien unter chronischen Beschwerden.

Barbara Müller (SP) ist Grossrätin im Kanton Thurgau. - SP Thurgau

Gegenüber Nau.ch schildert sie ihre Erfahrungen: «Was Menschen mit einer Behinderung, die über einen Maskendispens verfügen, an Verhaltensweisen von panisch reagierenden Mitbürgern und Mitarbeitenden der SBB erdulden müssen, ist schlicht inakzeptabel und völlig willkürlich.»

Sensibilisierung der Bevölkerung fehlt «ganzheitlich»

Eine Regelung für medizinische Ausnahmen gibt es, doch kaum jemand scheint diese zu kennen. Die Schuld sieht Müller beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der SBB.

«Von den Behörden wurde die Ausnahme-Verordnung für Personen mit Beeinträchtigung nicht kommuniziert», ist die Politikerin überzeugt. Es fehle ihrer Meinung nach eine Sensibilisierung der Bevölkerung für dieses Thema.

«Ich frage mich, weshalb man nicht auf den BAG-Plakaten oder in Zugdurchsagen auf Personen mit medizinischen Beschwerden und ohne Maske aufmerksam machen kann.» Für sie ist klar: «Das BAG hat Personen mit gültigem Attest dem Rest der Bevölkerung zum Frass vorgeworfen.»

Informationsschilder zum Coronavirus in einem TPG-Tram. - Keystone

Raffael Hirt, Mediensprecher bei der SBB, «bedauert die geschilderten Erlebnisse». Hirt betont, dass im öffentlichen Verkehr eine Maskenpflicht gelte. «Unser Personal fordert Reisende, die sich nicht an die Maskenpflicht halten, zum Aussteigen auf.»

Nicht aber Personen mit medizinischen Dispensen, bestätigt er. «Die ÖV-Unternehmen empfehlen den betroffenen Reisenden, das entsprechende Arztzeugnis auf sich zu tragen, um dieses vorweisen zu können.» Wenn es danach noch zu Diskussionen komme, würde es sich um ein «Missverständnis handeln».

Die SBB weist auf medizinische Maskendispensen hin. - Screenshot SBB

Die SBB macht in einem Informationsdokument jedoch aufmerksam auf diese Ausnahmen. Auf eine Durchsage, wie von Müller gefordert, wird aus einem Grund verzichtet: «Wir wissen aus anderen Kontexten, dass sich Reisende an zu langen Durchsagen im öffentlichen Verkehr stören. Deshalb wird in den Durchsagen im ÖV nicht auf die Ausnahmen der Maskenpflicht hingewiesen.»

Wer darf die Echtheit des Attests überprüfen?

Müller selbst musste im Zug einige unangenehme Konfrontationen mit Zugbegleitern erleben. So wurde sie gar aus dem Zug geworfen.

Der Mann wollte sich nicht an die Schutzmassnahmen gegen das Coronavirus halten. - Keystone

So beteuert sie, dass das Zugpersonal «gerne einen Blick auf Atteste werfen» dürfe. Eine Überprüfung der Echtheit sei in ihren Augen allerdings weiterhin Sache eines Richters.

Denn: Gemäss Erläuterungen zur Verordnung gilt das Vertrauensprinzip und damit die Eigenverantwortung. Laut Müller sei aber schon öfter vorgekommen, dass Zugbegleiter diese Regelung nicht akzeptieren wollten.