Senioren müssen in neuen Berner Trams häufiger stehen
Seit Herbst fahren neue Trams durch die Bundesstadt. Anders als ihre Vorgänger haben sie beidseitig Türen – dafür weniger Sitze. Zum Frust der Senioren.
Das Wichtigste in Kürze
- Die neuen Trams in Bern, die zum Beispiel nach Bümpliz fahren, haben weniger Sitze.
- Das Fazit der Senioren ein paar Monate nach der Einführung: Sie müssen häufiger stehen.
- Der Trambetreiber ruft zu Sitzplatz-Zivilcourage auf.
Die Sitzplätze der im Herbst eingeführten neuen Berner Trams sind aus Holz, schmaler – und vor allem weniger. Ein Grund dafür: Anders als ihre Vorgänger haben sie auf beiden Seiten Türen, sind also sogenannte Zweirichtungsfahrzeuge.
Seit ein paar Monaten sind sie nun in Betrieb und fahren Richtung Bümpliz-Ostring. Das Zwischenfazit der Seniorinnen und Senioren der Stadt Bern: Sie müssen wegen der wenigen Sitzmöglichkeiten häufiger stehen als früher.
Das hört Seniorin Ursula Zulauf vom Berner Forum für Altersfragen ProSenior von vielen älteren Trambenutzerinnen und -benutzern. Auch sie selbst kann im Tram seltener sitzen als früher, wie sie zu Nau.ch sagt.
Seniorin kritisiert viele Stehflächen
Sie kritisiert: «Es hat viel Steh- und Abstellflächen, wohl für Fahrräder und Kinderwagen gedacht. Rollstuhlfahrende hat es ja generell wenige. Diese Flächen gehen zulasten von Sitzplätzen, die insbesondere für mobilitätseingeschränkte Personen wichtig sind.» Auch die Altersorganisation Pro Senectute spricht von einer «Herausforderung» für Betroffene.
Dass viele ältere Menschen nun häufiger stehen müssen, führt Ursula Zulauf aber nicht nur auf die wenigen Sitzplätze zurück: «Die gegenseitige Rücksichtnahme, oder vielleicht auch einfach die Aufmerksamkeit, hat in den letzten Jahren gelitten.»
«Senioren sind nicht einfach grundsätzlich gebrechlich»
Eine Nau.ch-Leserin beobachtete Anfang März tatsächlich genau ein solches Szenario in einem Berner Bus: Vier Jugendliche machten es sich auf Sitzplätzen bequem, die für ältere Personen gedacht sind. Währenddessen musste eine Seniorin stehen.
Sollte man also direkt aufspringen, wenn eine ältere Person einsteigt? Zulauf findet: «Senioren sind nicht einfach grundsätzlich gebrechlich und die Altersspanne reicht von 64 bis 100 Jahre. Graue Haare allein lassen noch nicht auf eine Mobilitätseinschränkung schliessen.»
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Sie denkt aber, dass man sehen könne, wenn das Standvermögen und die Balancefähigkeit eines Menschen eingeschränkt sind. «Auch ohne mitgeführten Gehstock.»
Trotz allem: Ursula Zulauf sieht in den neuen Trams auch Vorteile. Sie lobt zum Beispiel die Holzsitze, die sich «sicher besser reinigen lassen». Denn: «Die Polstersitze sind vielfach unerträglich dreckig.» Zudem würden die neuen Trams freundlicher und heller wirken als die alten.
Trambetreiber ruft zum Sitzplatz-Freigeben auf
Auf die Vorteile des neuen Modells pocht auch ÖV-Betreiber Bernmobil. Sprecher Rolf Meyer betont: «Die neuen Trams sind für die Seniorinnen und Senioren aufgrund des durchgehenden Niederflureinstiegs und der barrierefreien Gestaltung sehr geeignet.»
Es dürften stets ausreichend Sitzplätze für Menschen verfügbar sein, die nicht gut zu Fuss sind. «Auch wenn spürbar weniger Sitzplätze vorhanden sind.» Meyer ruft zudem zu Rückgrat auf: «Der Anstand der übrigen Fahrgäste ist gefordert, den Sitzplatz bei Bedarf für solche Personen freizugeben.»
Bernmobil gibt aber zu, zur reduzierten Sitzplatz-Anzahl der neuen Trams «Rückmeldungen» erhalten zu haben. Das sei aber «bei allen Veränderungen üblich».
Obwohl das ÖV-Unternehmen das Zweirichtungsmodell lobt, hat es für die nächste Tramgeneration wieder einseitige Trams bestellt. Die sieben Fahrzeuge werden nächstes Jahr geliefert und haben 15 Sitzplätze mehr als die neuesten Bümpliz-Trams.