Ukraine-Familie klagt: «Die Schweiz hat uns ausgeraubt!»
Bei der Einreise in die Schweiz werden einer ukrainischen Familie das ganze Ersparte weggenommen. Seither kämpfen die Skobelievs um ihr Geld.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei der Einreise wurde einer ukrainischen Familie das gesamte Ersparte abgenommen.
- Die Skobelievs kämpfen seither um ihr Geld - und mit den Behörden.
- Die zuständige Gemeinde beruft sich auf die im Asylgesetz festgehaltene «Sonderabgabe».
«Die Schweiz hat uns ausgeraubt» und «Ich möchte dieses Land so schnell wie möglich verlassen und nie mehr zurückkehren.» Diese zwei Sätze hat der 75-jährige Ukrainer Volodymyr Skobeliev gesagt. Es sind Sätze, die aufhorchen lassen – was ist passiert?
Skobeliev ist erst am 28. Juli mit dem Bus und dem Zug, über Ungarn und Österreich, aus der Ukraine in die Schweiz gekommen. Es geht demnach um 9000 Franken, die ihm im Thurgau abgenommen worden seien. «Das sind all unsere Ersparnisse, es ist all unser Geld», empört sich Skobeliev. Seine Geschichte erzählt der 75-Jährige den «Tamedia»-Zeitungen.
Die Geschichte beginnt mit dem erwachsenen Sohn von Skobeliev und dessen Mutter Galina. Vor rund einem Jahr flüchteten die beiden nach Rumänien, hatten aber Ende Mai ihre Unterkunft in Bukarest verloren. Darauf beschlossen Mutter und Sohn, in die Schweiz zu gehen.
Wie es in dem Bericht heisst, beantragten sie Anfang Juni in Bern den Schutzstatus S. Vom Staatssekretariat für Migration (SEM) wurden sie dem Kanton Thurgau zugeteilt. Dort wurden sie im Dorf Islikon in der Gemeinde Gachnang untergebracht. Der Vater, der noch in Kiew weilte, wurde von Mutter und Sohn überredet, sie zu besuchen. Eigentlich hätte er gar nicht in die Schweiz reisen wollen, doch die Familie hatte sich seit über einem Jahr nicht mehr gesehen.
«Dieses Geld gehört der Schweiz»
Am 28. Juli kam Volodymyr Skobeliev schliesslich in Gachnang TG an. Er hatte im Gepäck Bargeld in verschiedenen Währungen. «All unsere Ersparnisse», sagt der promovierte Mathematiker und Physiker. Am 31. Juli wollte die Familie schliesslich den Vater auf der Gemeindeverwaltung anmelden.
Die Familie schildert, was dann passiert sei, folgendermassen: Die Gemeindeangestellten hätten Skobeliev senior aufgefordert, ihnen sein Geld zu zeigen. Das habe er auch gemacht. Der Gemeindeangestellte hat laut dem Sohn gesagt: «Dieses Geld gehört der Schweiz». Dann sei auch noch ein Polizist erschienen und habe alle ihre Taschen durchsucht.
Die Beamten zählten das Geld und händigten der Familie schliesslich zwei Formulare aus. Dort ist die «Sicherstellung von Vermögenswerten» festgehalten. Der Polizist gibt den Skobelievs 300 Franken zurück. Das sei das, was sie gemäss Schweizer Gesetz behalten dürften, heisst es. Auf einem der Formulare sei festgehalten, dass der Rest die «Sonderabgabe» sei.
Sicherstellung «im Normalfall» nicht durch Gemeinde
Was ist die Sonderabgabe? Dabei handelt es sich um ein asylpolitisches Instrument, das im Asylgesetz festgehalten ist. Laut dem Bericht geht es darum, dass sich Asylsuchende an den Kosten beteiligen, die sie dem Schweizer Staat verursachen. Seit März 2023 kann die Sonderabgabe grundsätzlich auch von Ukrainern erhoben werden. Doch die Frage ist: unter welchen Bedingungen und von wem?
Der Gemeindepräsident von Gachnang sagt, seine Behörde habe alles richtig gemacht. Detailfragen zum Fall wollte er unter Verweis auf das Amtsgeheimnis nicht beantworten. Beim Staatsekretariat für Migration heisst es, dass die Sicherstellung von Vermögenswerten «im Normalfall» nicht durch eine Gemeindebehörde, sondern im Bundesasylzentrum bei der Beantragung des Schutzstatus S geschehe.
Ein solches Gesucht hat Vater Skobeliev aber gar nicht gestellt. Laut dem Bericht ist auch nicht ganz klar, ob er das überhaupt tun wollte. Nach nur wenigen Tagen in der Schweiz war er sich offensichtlich noch nicht im Klaren über seine nächsten Schritte, heisst es. Das SEM hält gegenüber den «Tamedia»-Zeitungen fest, dass ein Ukrainer ohne Status-S-Gesuch «nicht sonderabgabepflichtig» sei. «Wenn jemand kein solches Gesuch stellt, greift der Artikel 86 des Asylgesetzes nicht», wird ein Sprecher zitiert.
Familie will Geld beim SEM in Bern zurückholen
Die 9000 Franken seien alles Geld, das sie hätten, sagt Galina Skobelieva. Es sei ihre Reserve für den Fall, dass sie in die Ukraine zurückkehren müssten. Ausserdem benötigten sie Geld, um die Gebühren und Abgaben für ihre Wohnung in Donezk zu bezahlen.
Die Familie versucht deshalb das Geld zurückzuholen – und zwar beim SEM in Bern. Dorthin haben die Gemeinde und die Polizei das Geld nämlich überwiesen. Es folgt eine Odysee mit Spitalaufenthalt – Skobeliev senior hatte Covid – mehreren Aufenthalten in Flüchtlingsunterkünften und Besuchen beim SEM.
Erst nach acht Tagen und einigen misslungenen Versuchen, die zuständigen Leute zu erreichen, meldet sich schliesslich ein Finanzverantwortlicher des Staatssekretariats für Migration bei der Familie. Erstmals können die Skobelievs wieder etwas Hoffnung schöpfen.