Zeugen Jehovas: Schweiz Tourismus krebst bei Mega-Event zurück

Rund 20'000 Zeugen Jehovas treffen sich bald in Zürich. Ein Ex-Mitglied übt Kritik – und betont: Die Gemeinschaft ist nicht so harmlos, wie viele denken.

Ein solcher Event wie hier 2009 soll ab dem 19. Juli erneut in Zürich stattfinden. Es werden rund 20'000 Zeugen Jehovas erwartet. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Christian Rossi war in seiner Jugend zehn Jahre Mitglied bei den Zeugen Jehovas.
  • Heute kritisiert er die Gruppierung und betont, viele hätten ein falsches Bild von ihr.
  • Den kommenden Event in Zürich mit 20'000 Mitgliedern findet er fragwürdig.

Gestern noch Taylor Swift. In wenigen Tagen versammeln sich dann im Zürcher Letzigrund Tausende Zeugen Jehovas: Dort findet Mitte Juli ein sogenannter Sonderkongress statt. Erwartet werden rund 20'000 Mitglieder der Gemeinschaft.

Die Stadt Zürich vermietet den Zeugen dafür das Stadion. Und Schweiz Tourismus wirbt auf der Webseite «My Switzerland» gar noch dafür, inklusive Link zur Webseite der umstrittenen Gemeinschaft. Das sorgt bereits im Vorfeld für Kritik – zum Beispiel bei Ex-Mitglied Christian Rossi.

Der heutige Kritiker und Religionswissenschaftler bei der Beratungsstelle Infosekta sagt zu Nau.ch: «Die Gesellschaft hat ein falsches Bild von den Zeugen Jehovas. Die Leute glauben, die seien vielleicht ein wenig speziell, aber würden nichts Böses tun. Das stimmt nicht.»

Ex-Mitglied findet Erlaubnis für Mega-Anlass «fragwürdig»

Von den grösseren religiösen Gruppierungen in der Schweiz seien sie eine der problematischsten. «Vielleicht sogar, weil sie eben so harmlos wirken. Sie bringen niemanden um oder schaden ihm körperlich – aber psychisch.»

Die Lehren der von Fachkreisen als sektenhaft eingestuften Gemeinschaft seien «extrem schädlich». So sehr, dass es immer wieder Suizide gebe und Familien zerstört würden, sagt Rossi.

Dass die Stadt Zürich einen derartigen Anlass zulässt und Schweiz Tourismus gar noch dafür wirbt, findet Rossi deshalb «fragwürdig».

«Schliesslich verstossen die Zeugen Jehovas gegen die Menschenrechte

Stadt Zürich will Zeugen Jehovas «nicht diskriminieren»

Als Nau.ch Schweiz Tourismus mit der Kritik konfrontiert, krebst die Organisation zurück: «Wir werden den Eintrag löschen lassen», heisst es auf Anfrage.

Der Anlass entspreche nicht den Kriterien für eine touristische Veranstaltung. Der Eintrag sei automatisch generiert worden – heisst: Die Organisation will nicht absichtlich für den Mega-Event geworben haben.

Die Stadt Zürich dagegen betont, «die Vermietung erfolgt im Sinne einer nicht diskriminierenden Gleichbehandlung». Es gebe keine klaren Ablehnungsgründe wie Sicherheitsbedenken oder strafrechtlich relevante Tatbestände.

«Man sollte genauer hinschauen»

Für Rossi unverständlich. «Man sollte genauer hinschauen.» Er selbst stiess in den 1980er-Jahren als Jugendlicher zu der Gemeinschaft. In dieser Zeit sah er viele Dinge, die ihn bis heute wütend machen.

«Die Zeugen Jehovas werden von einer Gruppe Männer in den USA geleitet, die lügen und manipulieren.» Sie würden die absurdesten Regeln bestimmen, für die es «keinen Grund gibt».

Eine der bekanntesten: Den Mitgliedern der Gruppe ist es verboten, lebensnotwendige Bluttransfusionen zu erhalten. «Ich kenne Menschen, die deshalb Familienmitglieder verloren haben.»

Ex-Mitglied wurde selbst geächtet

Er selbst musste zudem erfahren, wie es ist, nach dem Austritt geächtet zu werden. «Das ist natürlich dramatisch. Man verliert auf einen Schlag das ganze soziale Umfeld, schliesslich soll man ja ausserhalb keine engen Kontakte haben.»

In Norwegen werden die Zeugen Jehovas aufgrund ihrer Menschenrechtsverstösse nicht mehr als religiöse Gemeinschaft anerkannt. «Dass Zürich all diese Tatsachen nicht als Grund genug sieht, den Anlass abzulehnen, verstehe ich nicht.»

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Die Sektenberatungsstelle Relinfo relativiert die Kritik. Die stellvertretende Leiterin Julia Sulzmann erklärt, dass problematische Inhalte am Event lediglich aufgegriffen würden. «Allerdings finden darüber hinaus keine den Anwesenden schadenden Praktiken statt.»

Heisst: Man spreche zwar beispielsweise über das Verbot von Bluttransfusionen, aber körperlichen Schaden trage niemand davon.

Darum argumentiert Sulzmann: «Angesichts des hohen Werts von Religions- und Meinungsfreiheit ist die Durchführung der Veranstaltung differenziert zu bewerten. Sollten schädliche Praktiken bei solchen Events durchgeführt werden, würde sich die Sachlage ändern.»

Die Zeugen Jehovas lehnen die Bezeichnung als Sekte ab. Die Informationsstelle Infosekta spricht von einer Gruppe mit sektenhaften Merkmalen.

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