Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas «ächten sogar Kinder»

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Zürich,

In Zürich findet ein Mega-Event der Zeugen Jehovas statt – ein Ex-Mitglied übte bei Nau.ch Kritik. Jetzt erzählt Christian Rossi von seiner Zeit in der Gruppe.

Zeugen Jehovas
Christian Rossi war zehn Jahre Mitglied bei den Zeugen Jehovas. Heute kritisiert er die Gruppe. - Privat

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Zeugen Jehovas gelten als eine problematische religiöse Gruppierung.
  • Mit dem Ächten von Ex-Mitgliedern verstossen sie gegen die Menschenrechte.
  • Ein Ex-Mitglied erzählt: «Sie spielen mit der Angst.»

Christian Rossi ist heute Religionswissenschaftler und klärt bei der Fachstelle Infosekta über Sekten auf. Dazu gekommen ist er, weil er als Jugendlicher selbst in eine problematische Gruppierung abgerutscht ist: Der Zürcher war viele Jahre Mitglied bei den Zeugen Jehovas.

Es ist eine Gemeinschaft, die aktuell zu reden gibt. Ab gestern Freitag treffen sich rund 20'000 Mitglieder im Zürcher Letzigrund. Der Anlass sorgt für Kritik, Rossi selbst sagte bei Nau.ch, er finde es «fragwürdig», dass die Stadt den Sonderkongress zulasse.

Denn: Während seiner Zeit bei den Zeugen Jehovas sah er vieles, «was mir nicht gefiel». Später befasste er sich auch als Forscher intensiv mit dem Thema. Sein Fazit: Von den grösseren religiösen Gruppierungen in der Schweiz seien die Zeugen eine der problematischsten.

Die Rede ist von Menschenrechtsverstössen: Sogar Kinder würden geächtet, wenn sie aus der Gruppe austreten.

Zeugen Jehovas manipulieren neue Mitglieder mit Aufmerksamkeit

Als Teenager beginnt Christian Rossi, sich für die Zeugen Jehovas zu interessieren. «Mich hat fasziniert, wie stark sie glauben.» Selbst, als sie von den Nazis verfolgt wurden, liessen sie sich nicht bekehren.

«Zudem spielen sie mit der Angst. Sie glauben, dass wir in der Endzeit leben und nur Mitglieder ins Paradies kommen.» Rossi zieht es den Ärmel herein – schliesslich will auch er ins Paradies. «Im Nachhinein klingt das natürlich lächerlich.»

Doch in der Anfangszeit ist er begeistert. «Zuerst bekommt man enorm viel Aufmerksamkeit von der Gemeinschaft – sogenanntes Love-Bombing.» Dabei handelt es sich um eine Manipulationsstrategie, um Mitglieder zu binden.

Doch nach ein paar Jahren kommen erste Zweifel auf. «Ich wurde immer einsamer, weil ich als langjähriges Mitglied für die Gruppe uninteressanter war», erinnert sich der Zürcher. Von seinem Umfeld ausserhalb der Gemeinschaft hat er sich inzwischen distanziert. «Man wird unter Druck gesetzt, nur andere Zeugen Jehovas zu treffen.»

«Merkte, da ist etwas faul»

Der Wendepunkt folgt, als die sogenannte leitende Körperschaft die Interpretation einer wichtigen Prophezeiung ändert. «Plötzlich hiess es: ‹Wir können jetzt doch nicht mehr schätzen, wann Armageddon kommt.›»

Lange war die Gemeinschaft davon ausgegangen, dass die Welt vor dem Jahr 2000 untergehen würde. Bis dahin glaubt Rossi, bald ins Paradies auf Erden zu kommen. In den 1990er-Jahren liegt der ursprünglich angekündigte Weltuntergang schliesslich nahe.

Bist du religiös?

«Als diese Lehre geändert wurde, merkte ich, da ist etwas faul. Ich fühlte mich manipuliert.» Der inzwischen 22-Jährige informiert sich jetzt auch kritisch über die Zeugen Jehovas. Immer mehr wird sein Weltbild auf den Kopf gestellt.

Zeugen-Jehovas-Glaube kann tödlich enden

Für ihn bis heute das Schlimmste: «Die Zeugen Jehovas werden von Männern in den USA geführt, die lügen, manipulieren und sich nicht für Fehler entschuldigen. Man wird zu absurden Dingen gezwungen, die nicht stimmen oder für die es keinen Grund gibt.»

Rossi erinnert an das Verbot von Bluttransfusionen. «Ich kenne Menschen, die deshalb Familienmitglieder verloren haben.»

Man stelle sich vor, es hiesse plötzlich, die leitende Körperschaft habe das falsch verstanden – und Bluttransfusionen würden erlaubt. «Dann wäre ja klar, dass all die Menschen, die eine Bluttransfusion gebraucht hätten, umsonst starben. Aber eine Entschuldigung würde es nicht geben.»

«Sie wollen dich möglichst ungebildet halten»

Der Zürcher hält es für möglich, dass dieses Szenario eintreten wird. Eine ähnliche Regeländerung gab es in der Vergangenheit nämlich bereits bei Organtransplantationen. «Es ist, auf Deutsch gesagt, eine Verarschung.»

Zeugen Jehovas
Christian Rossi ist mittlerweile seit 27 Jahren nicht mehr bei den Zeugen Jehovas – und hat seinen Austritt nie bereut. - Universität Zürich

Kein Wunder, ermutigen die Zeugen Jehovas ihre Mitglieder, sich möglichst nicht an einer Universität zu bilden. «Eine Berufslehre wird gerne gesehen, mehr nicht. Am besten arbeitet man später auch Teilzeit, um nebenbei missionieren zu können.»

Sie würden es zwar nicht so sagen, meint Rossi, doch es sei klar: «Sie wollen dich möglichst ungebildet halten, damit du einfach zu manipulieren bist

«Ächten sogar Kinder»

Mit 24 Jahren hat Christian Rossi genug – er steigt aus. Auf einen Schlag verliert er alle Kontakte aus der Kirche. «Nach Jahren der Bekanntschaft taten sie so, als würden sie mich nicht kennen.»

Darauf ist er zwar vorbereitet. «Ich habe diverse Male mitbekommen, dass Mitglieder austraten oder gar ausgeschlossen wurden. Die Zeugen Jehovas ächten sogar Kinder, die nicht mehr dazugehören. Sie zerstören Familien.»

Darum hat sich der Zürcher bereits vor dem Austritt ein Umfeld ausserhalb der Kirche aufgebaut. «Trotzdem war es für mich dramatisch, meine Freunde zu verlieren. Für viele ist der Gedanke so schlimm, dass sie drin bleiben, obwohl sie nicht mehr glauben.»

Seinen Austritt hat er in den vielen Jahren seither nie bereut.

***

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Kommentare

User #1695 (nicht angemeldet)

Jeder der einen Verein,Gruppe ect. verlässt wird nicht vermisst und gehört auch nicht mehr zu ihnen. Das ist ganz normal. Darum ist es eine Gemeinschaft die zusammen sind.

User #1473 (nicht angemeldet)

Würden alle Einwohner der Schweiz so agieren wie JZ, dann wäre es wohl um einiges friedlicher in diesem Land. Sie brechen nicht ein, dealen keine Drogen und Raubüberfälle begehen sie sich nicht. Also......wo ist das Problem ? Nebenbei bemerkt bin ich konfessionslos.

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