Reisst Euch zusammen, ihr Corona-Weicheier
Unser Kolumnist versteht, dass viele von Corona die Nase voll haben. Er weiss aber auch, dass das dem Virus völlig egal ist.
Das Wichtigste in Kürze
- Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
- Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
- Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
- Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.
Der Mensch ist nicht für lange Krisen gemacht. Wir können nur eine gewisse Zeit in einer Anspannung verbringen, bevor unser Geist wieder auf «normal» umstellt und die Krise adaptiert und auf «default» setzt. Dann wird die Krise Normalität.
Nur, diese Krise weigert sich, Normalität zu werden. Sie kommt in Wellen. Wir hatten im Sommer trotz besseren Wissens die Illusion, wir hätten es geschafft. Haben wir nicht. Es sterben Menschen, die sonst noch weiter gelebt hätten. Im Frühling haben wir mit einer ungeheuren Solidarität auf die erste Welle reagiert, weil die Krise noch neu war. Wir haben uns umeinander gekümmert, «flatten the curve» gerufen und uns vorbildlich verhalten. Naja, abgesehen von den Schweden-Fans.
Das ist vorbei. Sobald es etwas an die Substanz geht, sobald eine zweite oder dritte Runde kommt, sind wir fertig mutig, fertig engagiert. Und dabei gehts nur darum, unsere Gewohnheiten etwas anzupassen. Wir leiden keine Not, wie sind nicht in einem Krieg. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt.
Jetzt reagieren viele bereits wie Zwängligoofe auf die Pandemie und jammern, nörgeln, relativieren, ignorieren. Und das, obwohl keine harten Massnahmen getroffen wurden. Wir sind jetzt das neue Schweden. «Eigenverantwortung» ist der neue Egoismus, Einschränkung die neue Bedrohung.
Anstatt sich weiter zurückzuhalten, zugunsten der Gefährdeten auf etwas Lebensstandard zu verzichten, bewegen wir uns wieder mehr oder weniger normal durchs Leben, einfach mit einer Maske am Ohr baumelnd. Wir ignorieren nicht nur die Zahlen und die Experten, sondern auch die Kritik aus dem Ausland. Allen voran der Bundesrat. Wo die dafür gewählten Magistraten im Frühling ihre Verpflichtung wahrgenommen haben, schieben sie jetzt die Verantwortung an die kantonalen Politiker, die meist tief im Filz der regionalen Wirtschaftsinteressen sitzen. Die Kantone verfügen dann harte Massnahmen, wenn bereits alles am Limit ist. Und klopfen sich dann auch noch auf die Schulter, wenn sie den Kollaps abgewendet haben, den sie selbst mit ihrer Schlampigkeit erst ermöglichten.
Wir versagen in der Krise auch ganz persönlich. Während libertäre Idioten bei jeder Massnahme «Diktatur» schreien, jammern andere über die persönliche Belastung durch Homeoffice, Kinder oder durch Einschränkungen in der Freizeit. «Das ist ja nicht mehr auszuhalten», lese ich immer häufiger. Die Pandemie wird als persönliche Beleidigung verstanden, als Zumutung. Und weil man sich nicht gerne einschränken lässt, flucht man, ignoriert man die Massnahmen und reizt alles aus.
Viele tun so, als könne man eh nichts machen. Politiker verschiedener Parteien meinten letzthin, dass ja die meisten Toten bereits über 80 waren (eine Aussage, die im Frühling noch die Karriere beendet hätte), dass sie Patientenverfügungen unterschrieben hätten, dass wir ja genug Betten hätten. Nur, Ziel ist es nicht, möglichst viele Intensivbetten zu haben. Das verfluchte Ziel wäre, möglichst wenig Intensivpatienten zu haben. Das haben Regierung und ein grosser Teil der Bevölkerung aber verdrängt. Weil das unangenehme Massnahmen zur Folge hätte.
Viele akzeptieren einfach die extrem hohem Opferzahlen, weil sie ihr normales Leben mit allen Annehmlichkeiten wieder zurückhaben wollen, oder, als PolitikerIn, weil sie die Wähler nicht vergraulen wollen.
Ich weiss, dass die Pandemie und die Massnahmen viele hart treffen. Wirtschaftlich und sozial. Ich, als Selbstständiger, habe im Jahr 2020 eine voraussichtliche Einkommenseinbusse von 40 Prozent. Jänu. Ich lebe in der Schweiz, ich werde nicht verhungern. Vielleicht fällt es mir ja auch leichter auf eine Krise mit Verzicht zu reagieren, weil ich schon echte Krisen durchlebt habe, weil ich mein Leben schon mehrmals von Null an neu aufbauen musste.
Überraschend kann ich auch beobachten, dass die Menschen, die schon lange in prekären Situationen leben, oft besser mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie umgehen können, weil sie es sich gewohnt sind, nicht alles zu bekommen, was sie sich gerade wünschen, und weil sie sowieso jeden Rappen umdrehen müssen. Ich höre aus dieser Ecke selten Beschwerden.
Das lauteste Gejammer nehme ich aus dem oberen Mittelstand der Superindividualisten wahr. Leute, die im Frühling noch Spass am Lockdown hatten, weil sie sich auf ihre «Projekte» oder auf ihre persönliche Yoga-Spiritualität zurückziehen konnten. Leute, die jetzt aber finden, es sei jetzt aber «nümm luschtig», die weder mit ihren PartnerInnen noch mit ihren Kindern in der Wohnung eingezwängt werden wollen, Leute, die wieder ins Büro oder an den Arbeitsplatz gehen, weil ihnen das Sinn und Wichtigkeit verleiht. Leute, die denken, sie hätten ein gottgegebenes Recht auf ihre Gewohnheiten und ihren Lebensstandard.
Es ist jetzt aber sicher nicht die Zeit, um über das eigene Unwohlsein zu heulen. Mir ist es egal, ob ihr traurig seid, weil ihr diesen Herbst nicht ans Konzert, an den Match oder ins Theater könnt. Wir haben die grösste Krise seit dem 2. Weltkrieg, mit viel mehr Todesopfern als in jeder anderen Krise im 20. und 21. Jahrhundert in unserem Land. Eure Grosseltern hatten damals echte Einschränkungen, und sie würden sich für euer dekadentes Gejammer schämen.
Reisst euch zusammen, ihr Sissis und Weichschnäbler, ehrewort. Wir stehen erst am Anfang. Selbst mit einer Impfung müssen wir noch bis im nächsten Frühling durchhalten. Und wenn ihr jetzt schon aus den Socken kippt, weil ihr denkt, das Leben sei gemein zu euch, seid ihr bis im Mai psychische Wracks. Wir leben in der Schweiz, uns geht es gut. Schaut nach Italien, Spanien, Frankreich. Schaut in die USA. Verglichen mit denen jämmerlen wir auf sehr hohem Niveau.
Natürlich ist die Pandemie Sch***e, das ist für alle so. Aber wenn ihr zwischen einer Einschränkung und dem Tod von Menschen wählen könnt, ist es eigentlich keine Frage, wofür man sich entscheidet. Also, hört auf zu rumzueiern.
Und ihr, liebe BundesrätInnen, nehmt endlich den Lobbyfinger aus dem Hintern und tut euren Job. Setzt Massnahmen durch und kümmert euch um die Schwächsten in unserem Land, sowohl gesundheitlich wie wirtschaftlich, anstatt zukunftslose Fluggesellschaften zu retten. Und macht das nicht mit Krediten, die eh keiner will, weil man nicht weiss, wie man sie zurückzahlen soll. Gebt Geld aus. Und jammert nicht über ausgegebene Steuergelder. Mit den 100 Milliarden, die die Nationalbank demnächst an Bund und Kantone auszahlen wird, kann man jeder Familie am Lebensminimum und jedem KMU in Schwierigkeiten helfen, bedingungslos. Und überhaupt: Wir zahlen nicht Steuern, um nette Budget-Pressekonferenzen für Finanzminister zu ermöglichen. Wir zahlen Steuern als Solidargesellschaft. Und genau in solchen Zeiten ist diese gefordert.
Zum Autor: Reda El Arbi ist 51-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.