Patrick Hässig nervt sich über Corona-Verharmloser

Der Pflegefachmann-gewordene Radiomoderator Patrick Hässig macht sich für seinen Beruf stark. Denn die Politik scheint trotz Corona-Krise nicht hören zu wollen.

Der ehemalige Radiomoderator Patrick Hässig ist jetzt dipl. Pflegefachmann HF und beklagt mangelndes Verständnis für seinen Beruf in der Politik. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Der ehemalige Radiomoderator Patrick Hässig macht sich für den Pflegeberuf stark.
  • Er kritisiert, dass die Politik offenbar den Personalmangel zu wenig ernst nehme.
  • Dies zeige sich sowohl in der Corona-Krise als auch bei der Beratung der Pflegeinitiative.

Patrick Hässig ist… verstimmt. Der Radio-Moderator hat sich in den vergangenen Jahren zum dipl. Pflegefachmann HF umschulen lassen und arbeitet nun im Spital. Als Direktbetroffener kann er sich nur wundern, was Politiker und Behörden über die Situation an seinem Arbeitsplatz zu wissen glauben.

Die Pandemie hätte, findet Hässig, doch eigentlich gerade für den Pflegeberuf sensibilisieren sollen. Doch statt mit Menschen wird mit Material geplant: Solange es genug Betten hat, ist die Gefahr gebannt. Für ihn unverständlich ist, dass trotz der aktuellen Lage die Politik nicht mehr tut, um den Personalnotstand zu beheben. In den sozialen Medien macht er seinem Ärger nun Luft.

Nau.ch: Patrick, früher haben wir zusammen Radio gemacht, dann hast Du Dich entschieden, einen völlig anderen Weg einzuschlagen. Trotzdem stehst Du jetzt wieder im Rampenlicht: Als Pflegefachmann bist Du systemrelevant in der Corona-Krise.

Aber das scheint nicht allen gleichermassen bewusst zu sein, denn Du holst online ziemlich aus gegen die Entscheidungsträger. Der Personalmangel in der Pflege ist ja nicht erst seit diesem Frühling Thema. Jetzt ist das Problem einfach viel akuter, weil man konkreter sieht: Wenn es zu wenige Betten auf Intensivstationen hat, werden Leute sterben. Was war der Auslöser, dass Du Deiner Verärgerung Luft verschaffen musstest?

Patrick Hässig: Ich stelle einfach fest, dass man probiert, die Bevölkerung zu beruhigen: Wir haben genügend Geräte, Platz und Schläuche. Aber man denkt nicht daran, dass jemand all dies auch noch bedienen muss. Das Bett pflegt nicht allein!

Ein Bett auf der Intensivstation. (Symbolbild) - Keystone

Da kann man nicht mal eben schnell jemanden aus einer anderen Abteilung rekrutieren. Ich weiss auch nicht, wie man diese Maschine bedient – und ich bin ausgebildeter Pflegefachmann!

Negativ-Beispiel Deutschland

Nau.ch: Die gleiche Ausgangslage hatten wir in der Schweiz ja schon im Frühling, ausser dass die Vorwarnzeit viel kürzer war. Wo siehst Du aktuell die grösste Gefahr?

Die Berechnungen der Taskforce für die Besetzung der Intensivbetten, wenn die Verdopplungszeit sieben Tage beträgt (rote Linie), fünf (blau) und zehn (grün). - Nationale Covid-19 Taskforce

Patrick Hässig: Wir dürfen nicht Deutschland als Vorbild nehmen, aber ich habe das Gefühl, wir rasen genau in diese Richtung. Deutschland wäre ein super Negativ-Beispiel, aber wir lernen nichts daraus.

Es ist das gleiche Muster wie bei der Pflegeinitiative. Dort heisst es dann auch: Es geht ja! Aber das ist eben ein Trugschluss.

Patrick Hässig beim richten von Medikamenten für seine Patienten. - zvg

Kommt dazu, dass ja all die anderen Operationen und Behandlungen nebenher weiterlaufen. Meine Kollegin sagt: Wir brauchen vier bis sechs Leute, um einen einzigen Patienten zu drehen, zu mobilisieren, zu pflegen. Das frisst enorm Ressourcen, auch wegen der ganzen Schutzkleidung, die nötig ist. Du kannst nicht eben schnell aufs WC oder etwas essen.

Pflegeinitiative unter Beschuss trotz Pandemie

Nau.ch: Einmal abgesehen von der Pandemie weibelt das Pflegepersonal ja schon seit Jahren für mehr Nachwuchs. Die Pflegeinitiative ist derzeit im Parlament hängig. Der Nationalrat lehnt sie ab, will aber einen Gegenvorschlag und hat unter dem Eindruck der Pandemie noch etwas nachgebessert. Die Gesundheitskommission des Ständerats zeigt sich dagegen unbeeindruckt.

Pflegefachpersonen vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK, reichen die Pflegeinitiative mit über 120’000 Unterschriften zur Volksinitiative für eine starke Pflege ein, am Dienstag, 7. November 2017, in Bern. - Keystone

Patrick Hässig: Das finde ich schon sehr speziell, gerade in dieser Zeit. Ich verstehe es einfach nicht, wie man zu solchen Schlüssen kommen kann. Versteht mich nicht falsch: Ich habe grosses Vertrauen in die Politik – aber sie getrauen sich irgendwie nicht. Dabei wäre mehr und besser ausgebildetes Personal ein Kostensenker, weil dann auch die Aufenthaltsdauer im Spital sinkt.

Nau.ch: Klingt einleuchtend, aber scheint bei den Gesundheitspolitikern nicht so wahrgenommen zu werden. Woran könnte das liegen?

Aussenwahrnehmung: Haben eh alle weisse Gwändli an

Patrick Hässig: Man hat einfach das Gefühl: Leute, die im Spital schaffen, können alle das gleiche und haben alle die gleiche Ausbildung. Sie haben alle weisse Gwändli an und können/dürfen dasselbe. Aber die Ausbildung zur Fachangestellten Gesundheit (FaGe) machst du als Lehre mit 15. Für das Diplomstudium als Pflegefachmann habe ich dagegen drei Jahre hart gebüffelt und trage im Betrieb eine grössere Verantwortung.

Die Schaffhauser Regierung hat einen einmaligen Zuschlag für das Pflegepersonal beschlossen. (Archiv) - Keystone

Nau.ch: «Die Pflege» ist nicht homogen, es sind verschiedene Berufe und verschiedene Spezialisierungen. Also genau der Punkt, der auch beim Personal für die Intensivbetten offenbar vernachlässigt wird. Zugegeben, als Aussenstehender oder Patient nimmt man die guten Geister in Weiss wohl zu wenig differenziert wahr. Ist das nicht menschlich?

Patrick Hässig: Es kommt ja auch niemand auf die Idee, dass jeder Assistenzarzt ein Chirurg sei – obwohl auch beide weiss angezogen sind. Kommt dazu: Der Arzt operiert und diagnostiziert, ist nachher aber vielleicht 10 Minuten am Tag am Patientenbett, während der Visite. Das Pflegepersonal ist 23 Stunden und 50 Minuten am Bett.

«Spital ohne Lernende kann zumachen»

Nau.ch: Du tönst die mangelnde Wertschätzung an. Das macht es auch nicht gerade einfacher, fast doppelt so viel Pflegepersonal auszubilden, so wie das die Initiative anstrebt.

Ein Dozent am Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen des Kantons Zürich (ZAG) zeigt am 20. Juli 2010 Studierenden der Höheren Fachschule Pflege das Setzen einer Spritze ins subkutane Fettgewebe. - Keystone

Patrick Hässig: Es reicht nicht, lediglich mehr Ausbildungsplätze zu schaffen und bei Schulabgängern Werbung zu machen. Es braucht auch eine attraktive Ausbildungszeit.

Im Diplomstudium arbeitet man 3 Jahre lang als billige Arbeitskraft, verdient 1000 bis 1250 Franken pro Monat. Wenn man das als Zweitausbildung macht und vorher als vorher als FaGe gearbeitet hat, hatte man circa 4500.

Wer macht das schon? Klar, das Gesundheitssystem profitiert davon. Ein Spital ohne Studierende und Lernende – das könnte grad zumachen.

Es ist aber nicht nur die Ausbildung. Den Personen, die bereits im Beruf sind, muss man Sorge tragen. Man muss die Leute auch behalten können – es hören viel zu viele auf! Wenn man die zum Bleiben motivieren könnte, das wäre schon die halbe Miete.