Unabhängige Experten beugen sich manchmal dem politischen Willen

Gutachter sollen Sachlagen einschätzen, damit die Politik fundierte Entscheidungen treffen kann. Allerdings folgen die Gutachter manchmal der Politik.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagt, die EZB werden auch in der zweiten Welle für die Nationen da sein. (Archivbild) - Shutterstock

Das Wichtigste in Kürze

  • 2010 unterstützte der Internationale Währungsfonds Griechenland wegen IWF-Prognosen.
  • Die Experten hatten ihre ursprünglichen Vorhersagen auf Druck der EU verändert.
  • Der Soziologe Pierre Pénet untersucht die Mechanismen der Einflussnahme auf Experten.

2017 erneuerte die Europäische Union die Zulassung für das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Dies geschah auf Grundlage eines Gutachtens des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).

Doch dieses Gutachten enthielt zu grossen Teilen Passagen, die wortwörtlich aus dem Zulassungsantrag der Industrie übernommen worden waren. Diese «copy-paste»-Technik sei üblich und erst nach kritischer Überprüfung geschehen, verteidigte sich das BfR.

Doch hinter «copy-paste» in Expertenberichten kann auch etwas Dunkleres stehen. Dass nämlich Experten bewusst kopieren, weil sie von der Politik beeinflusst wurden. Dies, obschon sie nach gründlicher Prüfung eines Sachverhaltes eigentlich zu einer anderen, unbequemen Einschätzung gekommen waren. Diese aber nicht offiziell verkünden dürfen.

Preiswürdige Forschung

Solche bewusste Ausblendung von Fakten durch Experten grosser Organisationen geschieht tatsächlich. Das zeigen die Untersuchungen des Soziologe Pierre Pénet von der Universität Genf am Beispiel des Internationalen Währungsfonds IWF.

Für seine Analyse erhielt Pénet vor kurzem den mit 10'000 Franken dotierten «Nachwuchspreis Gold» des SAGW.

Soziologe Pierre Pénet posiert für die Kamera. - zVg

In seiner Studie nahm Pénet die Entscheidung des IWF unter die Lupe, Griechenland 2010 Geld zu leihen. Normalerweise springt der IWF ein, wenn sich ein Land in einer finanziellen Krise befindet.

Kredit gibt es aber nur, wenn die Schuldenlast des Landes für dieses auch tragbar ist. Ist sie es nicht, so fordert der IWF unter anderem, dass Schuldner dem Land seine Schulden erlassen.

EU setzte IWF-Experten unter Druck

Im Fall Griechenlands hatten die vom IWF beauftragten Experten verschiedene Vorhersagen zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes durchgerechnet. Diese waren zu dem Schluss gekommen, dass das Land seine Schulden nicht tragen konnte.

Ohne Schuldenerlass dürfte der IWF in diesem Fall also kein Geld verleihen. Griechenland die Schulden zu erlassen, war aber nicht im Interesse der EU. Die griechischen Schulden im Wert von rund 112 Milliarden Franken lagen unter anderem bei deutschen und französischen Banken.

Aus 2013 geleakten IWF-Dokumenten geht hervor, dass die EU Druck auf die Experten des IWF ausgeübt hat. Sie sollten ihre Vorhersagen so anpassen, dass diese dem IWF eine Kreditvergabe ohne Schuldenerlass erlaubten.

Das taten sie dann auch. «Die IWF-Experten sahen sich gezwungen, ein Rettungsprogramm abzusegnen, an das sie selber nicht glaubten», sagt Pénet.

Verstecken hinter den Worten anderer

In offiziellen IWF-Berichten tauchten schliesslich Passagen auf, die aus EU-Dokumenten kopiert worden waren. Solche Plagiate werfen ein schlechtes Licht auf die Gutachter, denn sie zeugen entweder von deren Unfähigkeit oder deren Unwillen. Warum also tun es die Experten trotzdem?

«Ich habe mehrere IWF-Experten befragt», erzählt Pierre Pénet. «Das sind wissenschaftlich arbeitende Menschen. Für sie ist es schrecklich, wenn sie in einem Bericht etwas schreiben müssen, was ihrer eigenen Analyse zuwiderläuft. Das ist schlimmer, als einen Fehler zu machen.»

Die «copy-paste»-Methode, so Pénet, sei eine Schutzmassnahme. Experten könnten sich hinter den Worten anderer verstecken und müssten so auch nicht die Konsequenzen für diese tragen. Eine Schutzmassnahme, die auch hinter den kopierten Passagen im Fall Glyphosat stehen könnte, sagt Pénet.

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«Nau forscht»

Im Rahmen dieser Serie erscheint jeden Sonntag ein exklusiver Beitrag des Wissenschaftsmagazins «higgs».

Dieser Beitrag wurde verfasst von Cornelia Eisenach.