Neue Foto-Affäre: Gündogan findet's «krass»

Ein Jahr nach dem Wirbel um die Erdogan-Bilder haben Nationalelf und DFB eine neue Foto-Affäre. Mitten im türkischen Salut-Jubel steht Gündogan, der beim Sieg in Estland eine Doppelrolle spielt. Erst mit etwas Abstand spricht DFB-Direktor Bierhoff von einem Fehler.

Sorgte in Estland für Gesprächsstoff: Ilkay Gündogan (r). Foto: Raul Mee/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • In seinem Kerngeschäft als Fussballer machte Ilkay Gündogan in Tallinn eindeutig die bessere Figur.

Teamkollege Emre Can misslang das mit seiner Roten Karte.

Doch das sportliche Auftreten des Duos im deutschen Nationaltrikot beim 3:0 gegen Estland konnte nicht überdecken, dass die beiden türkisch-stämmigen Profis der Nationalmannschaft und dem Verband mit der später zurückgezogenen «Gefällt-mir»-Reaktion auf ein Bild salutierender türkischer Kicker eine neue Foto-Affäre aufgezwungen haben. Eine ohne Lerneffekt aus den Erdoğan-Fotos von Mesut Özil und Gündogan im WM-Sommer 2018.

Von einem Fehler sprach nach Mitternacht in der Arena von Tallinn noch keiner, nicht Gündogan, nicht Can oder Joachim Löw. Der Bundestrainer vertrat sogar die Ansicht, dass der 28 Jahre alte Gündogan als zweifacher Torschütze und Matchwinner «das beste Statement auf dem Platz mit seinem Spiel gegeben» habe. «Er hat die Mannschaft in Unterzahl hervorragend geführt im Mittelfeld», sagte Löw. Dem war nicht zu widersprechen, aber es war nicht die Antwort.

Auch DFB-Direktor Oliver Bierhoff hatte zunächst noch versichert: «Ich sehe es nicht so kritisch.» Erst mit einigen Stunden Abstand schärfte der Ex-Europameister via DFB-Internetseite seine Position nach. «Wir haben nach dem Spiel mit den Spielern gesprochen. Sie wissen auch, dass es ein Fehler war», sagte Bierhoff und erinnerte nun an die Vorbildwirkung der Nationalspieler: «Sie müssen sich der grossen Verantwortung und der Wirkung bewusst sein, die jede ihrer Aussagen und Aktionen, vor allem auch in den sozialen Netzwerken, nach sich ziehen können.»

Diese Wirkung schien Gündogan und Can am Vorabend in Tallinn noch ziemlich zu überraschen. «Es ist krass, woraus heutzutage Geschichten geschrieben werden», sagte Gündogan in seiner persönlichen Verteidigungsrede. «Die Medien interpretieren immer alles kritisch», klagte Can in die Mikrofone der deutschen Reporter. Dass sie den Militärgruss-Jubel ihres Freundes Cenk Tosun nach dessen Siegtor beim 1:0 gegen Albanien bei Instagram mit einem «Like» versehen hatten, sei «kein politisches Statement» gewesen, beteuerten Gündogan und Can, flankiert von Bierhoff und Löw.

Angesichts der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien liess sich das Liken des Salut-Jubels aber kaum auf einen Glückwunsch an Tosun reduzieren. Gündogan selbst benannte die Problematik der Like-Aktion, die im besten Fall gedankenlos war: «Am Ende des Tages ist das immer eine Interpretationssache. Man interpretiert es, wie man es will.»

Der türkische Fussballverband interpretierte das Foto eindeutig. Der Militärgruss von Tosun und dessen Kollegen sei den bei der «Operation Friedensquelle» eingesetzten türkischen Soldaten gewidmet gewesen. Der Militäreinsatz in Nordsyrien wird international scharf verurteilt, auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Aus «200.000 anderen Menschen», die das Bild im Internet gelikt hätten, darunter «Fussballer aus der ganzen Welt», seien ausgerechnet sie zwei «rausgepickt» worden, beklagte Gündogan. «Das ist ein bisschen schade», meinte der in Gelsenkirchen geborene Profi.

«Emre und ich sind beide konsequent gegen jeglichen Terror und gegen jeglichen Krieg, egal, wo auf der Welt er stattfindet. Deswegen war das nur als reine Unterstützung von einem Freund gedacht.» Can beteuerte: «Ich bete jeden Tag, dass auf der Welt Frieden herrscht.»

Bierhoff warb in Tallinn um Nachsicht mit den Spielern und meinte: «Dass das so eine Dimension annimmt, konnte keiner erwarten.» Diese Aussage erstaunte vor dem Hintergrund der Fotos, die vor der WM 2018 Özil und Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zeigten. Sie lösten eine intensive öffentliche Debatte aus, führten zu Pfiffen gegen das Duo bei Länderspielen und gipfelten nach dem deutschen WM-Desaster im Bruch Özils mit Deutschland und dem DFB.

Gündogan gab sich einsichtiger und läuft weiterhin im Nationaltrikot auf. «Natürlich bin ich unglaublich froh, dass ich der Mannschaft weiterhelfen konnte», sagte der zweifache Torschütze, der zudem Treffer Nummer drei von Timo Werner vorbereitet hatte.

Das Krisenmanagement des DFB in Tallinn funktionierte nicht. Bierhoff wirkte zunächst hilflos nach einem ersten Gespräch mit den Spielern nach dem Schlusspfiff. «Beide sassen nach dem Spiel total geknickt in der Kabine», verriet der 51-Jährige. Der Verband weist immer gerne auf die besondere gesellschaftliche Funktion des Aushängeschildes Nationalelf hin. Auf die Aussenwirkung wird darum besonders geachtet.

Die oft spontanen Beiträge der Spieler bei Twitter, Facebook oder Instagram bergen da Risiken. Nach einiger Bedenkzeit kündigte DFB-Direktor Bierhoff weitere Schulungsmassnahmen an: «Wir müssen weiterhin daran arbeiten, die Sinne unserer Spieler gerade für den Umgang in den sozialen Netzwerken zu schärfen. Da darf es keinen Raum für Interpretationen geben.»