Nacht-Marathon: Siegerin macht erst beim Interview schlapp

Mitten in der Nacht bestreiten die Marathonläuferinnen in Doha ihr WM-Rennen. Die Favoritin aus Kenia setzt sich ab, als ihre Konkurrentinnen nach Trinkflaschen greifen. Eine 41 Jahre alte Amerikanerin wird Sechste und hat noch viel Luft für Interviews.

Die Kenianerin Ruth Chepngetich lief beim WM-Marathon als Erste durchs Ziel. Foto: Petr David Josek/AP - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Beim letzten Interview kippte Ruth Chepngetich plötzlich nach vorne.

Ein Offizieller packte die neue Marathon-Weltmeisterin gerade noch am Arm. Die 25 Jahre alte Kenianerin triumphierte beim ersten Mitternachts-Lauf der WM-Geschichte in Doha, aber: Was für eine Tortur!

Als Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, das Staatsoberhaupt des Emirats, um Mitternacht den Startschuss gegeben hatte, wurden 32,7 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von 73,3 Prozent gemessen. Die gefühlte Temperatur lag bei über 40 Grad.

Die 25-jährige Chepngetich setzte sich nach 42,195 Kilometern in 2:32:43 Stunden durch. Es war die langsamste Siegeszeit der WM-Geschichte. Nur 40 der 68 gestarteten Teilnehmerinnen kamen in Katars Hauptstadt ins Ziel. «Es war ein hartes Rennen. Ich bin sehr glücklich über den Sieg und darüber, Gold nach Kenia zu bringen», sagte Chepngetich in ihrem ersten Interview und formulierte auch gleich Medaillenwünsche für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio.

Auf dem Kurs über sechs Runden à 7 Kilometer an der Strandpromenade Corniche hatte Chepngetich bei einer Verpflegungsstation nach 35 Kilometern entscheidend das Tempo verschärft und sich abgesetzt. Ihre Konkurrentinnen waren noch auf ihre Trinkflaschen konzentriert. Silber ging an Bahrain und Titelverteidigerin Rose Chelimo: Die gebürtige Kenianerin kam nach 2:33:46 Stunden ins Ziel vor Helalia Johannes aus Namibia (2:34:15).

«Es war sehr heiss, die Luftfeuchtigkeit war sehr hoch», sagte Johannes später, während ihr Sturzbäche von Schweiss über den Körper liefen.

Eine deutsche Teilnehmerin war nicht am Start, dafür die in Berlin geborene Deutsch-Palästinenserin Mayada Al Sayad. Die 26-Jährige war froh, als sie nach 3:10:30 Stunden restlos erschöpft als Vorletzte das Ziel des WM-Marathons erreicht hatte. «Es war schrecklich», sagte Al Sayad in der ARD. «Mein Herz hat gerast, ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt.» Al Sayad, Tochter eines palästinensischen Zahntechnikers und einer Mutter aus Thüringen, startet seit 2014 für das Land ihres Vaters.

«Das ist hier kein Marathon. Es ist ein langer Lauf gewesen, den man durchhalten musste», meinte die Langstreckenläuferin vom 1. VfL Fortuna Marzahn, die beim Hannover-Marathon am 7. April ihre Bestzeit auf 2:39:28 Stunden verbesserte. Bei der WM 2015 in Peking hatte sie Platz 50 belegt. Nur den 67. Rang erreichte Al Sayad bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio. Dafür durfte sie bei der Eröffnungsfeier die palästinensische Fahne tragen.

Die Szenerie in Doha hatte trotz der beleuchteten Strecke zunehmend etwas Gespenstisches: Nur am Anfang standen noch zahlreiche Zuschauer an der Strecke. «Die Fans haben nach den ersten Runden das Interesse verloren», sagte die amerikanische Läuferin Carrie Dimoff. «Aber die Organisation war richtig gut.» Das befürchtete Szenario der Veranstalter, dass eine Athletin vor den Fernsehkameras zusammenbricht und diese Wüsten-WM mit ihren schwierigen Bedingungen weiter ad absurdum führt, blieb aus.

Jubel war bei Chepngetichs Zieleinlauf vor einem kleinen Publikum kaum zu hören. Immerhin bekam die Siegerin ein Küsschen von Weltverbandspräsident Sebastian Coe, ehe sie weitergereicht wurde und ihr dann irgendwann endgültig die Kräfte schwanden.

Die Kenianerin hatte sich mit ihrem Streckenrekord beim Dubai-Marathon Ende Januar als WM-Favoritin empfohlen. Damals gewann sie in 2:17:08 Stunden - die drittbeste je gelaufene Zeit. Nur Weltrekordlerin Paula Radcliffe (Grossbritannien/2:15:25) und Afrika-Rekordlerin Mary Keitany (Kenia/2:17:01) waren schneller. An solche Zeiten war in Doha nicht zu denken.

Im Zielraum stand jedoch auch die 41 Jahre alte Roberta Groner aus den USA. Sie bildet im Hauptberuf Krankenschwestern aus und ist Mutter von drei Kindern. Nach 2:38:44 Stunden kam sie als sagenhafte Sechste ins Ziel - und hatte noch Luft für jede Menge Interviews. «Ich weiss meine Zeit nicht, aber ich bin absolut zufrieden», sagte sie und redete und lachte und hörte gar nicht mehr auf damit.