NFL: Das Watson-Fiasko: Ein 230 Millionen schwerer Fehler der Browns

Nach zwei Jahren bei den Browns hat Deshaun Watson mehr Zivilklagen als Touchdowns auf dem Konto. Warum das Watson-Experiment gescheitert ist.

Deshaun Watson ist in der NFL das Sorgenkind der Cleveland Browns. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei den Browns und Quarterback Deshaun Watson läuft’s alles andere als rund.
  • Inmitten aller Kontroversen um Watson war seine Verpflichtung vor zwei Jahren riskant.
  • Jetzt werden sie ihn nicht mehr los.

Die wenigsten Yards pro Spielzug (3.8), die meisten zugelassenen Sacks (26), das einzige Team ohne Spiel mit mehr als 20 Punkten. Oder einfach: die schlechteste Offensive der NFL.

Bei den 1-und-4-Browns übertrumpft aktuell eine Negativstatistik die nächste. Die Stimmung in Cleveland liegt im Keller, längst fordern Fans Umwälzungen auf allen Stufen – doch auf einer ganz besonders: auf jener des Quarterbacks.

Riskante Investition geht nicht auf

Für den skandalbehafteten Deshaun Watson haben die Browns im März 2022 ganz tief in die Taschen gegriffen: Fünf Draft-Picks gaben sie seinem Ex-Team, den Houston Texans, ab.

Und Watson selbst bekam einen rekordträchtigen Fünfjahresvertrag mit 230 Millionen Dollar garantiert. Rentiert hat sich die riskante Investition in den zwei Jahren seither bislang nicht.

Die Cleveland Browns lassen sich den Wechsel von Deshaun Watson in der NFL einiges kosten. - keystone

Im Gegenteil scheint es den Franchise um mehrere Jahre zurückgesetzt und einen regelrechten Fluch über die Stadt gelegt zu haben. Mitleid hat die Browns-Führung dabei kaum verdient – sie wussten, worauf sie sich einliessen. Eine Rekapitulation des gescheiterten Experiments Watson.

Als alles noch im Reinen war

Deshaun Watson kommt 2017 als einer der besten College-Spieler seines Jahrgangs zu den Houston Texans, die ihn an 12. Stelle des NFL-Drafts auswählen.

In seinen ersten beiden Jahren als Starter bei den Texans wirft Watson knapp 8000 Yards und 52 Touchdowns und spielt damit auf Augenhöhe mit Superstar-Quarterback Patrick Mahomes, der 2017 nur eine Stelle vor ihm von den Kansas City Chiefs gepickt wird. Trainerlegende John Gruden nennt Watson einmal den «Michael Jordan der NFL».

Bei den Texans überzeugt Deshaun Watson. - keystone

2019 verlieren Watsons Texans gegen Mahomes Chiefs in der AFC-Divisionsrunde und schrammen damit nur haarscharf am Einzug ins AFC-Championship-Spiel vorbei.

Vor der Saison 2020 unterschreibt Watson eine vierjährige, 160 Millionen Dollar schwere Vertragsverlängerung. Alles deutet auf eine lange, glorreiche Karriere Watsons bei den Texans hin.

Die Wendung

Ein Jahr später wird Watson zwar zweiter im MVP-Rennen hinter Aaron Rodgers, doch trotz Watsons Glanzleistungen kommen seine Texans nicht über vier Saisonsiege hinaus und werden zweitletzter in der AFC. Die umgekrempelten Texans weisen zu grosse strukturelle Mängel auf, als dass sie ein fulminant spielender Watson kaschieren könnte.

Sinnbildlich ist das Saisonfinale gegen den Divisionsrivalen aus Tennessee: Watson wirft 365 Yards und 3 Touchdowns gegen die Titans, seine Texans verlieren trotzdem, und er verlässt sichtlich unzufrieden das Feld.

Deshaun Watson im Einsatz mit den Texans. - keystone

Spekulationen über Unstimmigkeiten mit der Texans-Führung machen die Runde und nur ein Jahr nach der Vertragsverlängerungen scheinen die Zeichen auf Abschied zu stehen. Tatsächlich soll es Watsons letztes Spiel für die Texans gewesen sein: Am 28. Januar 2021 ersucht er die Texans-Führung um einen Trade.

Die Anschuldigungen

Doch noch vor den ersten Trade-Offerten, die Anklagen: Im März 2021 erheben zahlreiche Sportmasseurinnen aus Houston schwere Vorwürfe gegen Deshaun Watson. Bis zum Sommer treten 22 Frauen hervor und beschuldigen Deshaun Watson der sexuellen Nötigung bei privaten Massagesitzungen.

Ashley Solis ist eine der Anklägerinnen von Deshaun Watson. - keystone

Die Masche soll dabei laut dem Anwalt der Klägerinnen, Tony Buzzbee, immer eine ähnliche gewesen sein: Watson liess sich von privaten Sportmasseurinnen behandeln, um sie dann um sexuell anstössige Gefallen zu bitten. Watson soll die Frauen dabei unter anderem zu Oralverkehr aufgefordert haben. Die Berichte der Anklägerinnen sind verstörend.

Deshaun Watson streitet sämtliche Anschuldigungen ab. Er habe jede Frau in seinem Leben stets mit höchstem Respekt behandelt, erklärt er in einer Pressekonferenz. Eine Geschworenenjury lehnt die Aufnahme eines Strafverfahrens im März 2022 ab – wie so oft bei beweistechnisch heiklen Anklagen wegen sexueller Belästigung.

Zivilrechtlich gehen die Anklägerinnen dennoch gegen Watson vor. Mit den meisten der mittlerweile 26 Anklägerinnen erreicht Watson eine aussergerichtliche Einigung.

2021 spielt Watson keine einzige Partie in der NFL. - keystone

Die Empörung über die Berichte der Masseurinnen ist derweil gross. Auch die NFL prüft disziplinarische Massnahmen gegen den damals 25-Jährigen. Ein Trade Watsons kommt 2021 noch nicht zustande.

Daraufhin streikt er, und setzt die gesamte Saison 2021 aus. Mit Watson auf dem Abstellgleis beenden die Texans die Saison 4-13. Im Frühjahr 2022 unterhalten die Texans dann die ersten Trade-Anfragen. Die NFL zieht währenddessen eine Sperrung Watsons für die Saison 2022 in Erwägung.

Der Trade

Trotz der laufenden zivilrechtlichen Verfahren und Ermittlungen der NFL buhlen zahlreiche Teams um die Dienste Watsons. Neben den Browns sind auch die Falcons, Saints und Panthers im Rennen.

Am 20. März 2022 einigen sich die Houston Texans schliesslich mit den Cleveland Browns auf ein Tauschpacket, das in der Geschichte der NFL seinesgleichen sucht: Die Browns schicken drei Erstrundenpicks und je ein Dritt- und Viertrundenpick nach Houston, im Gegenzug erhalten sie Deshaun Watson und einen Sechstrundenpick.

Die Cleveland Browns holen Deshaun Watson mit einem Mega-Deal. - keystone

Die Browns gehen All-in und statten Watson mit einem Fünfjahresvertrag über 230 Millionen Dollar aus – zu diesem Zeitpunkt der teuerste Spielervertrag der NFL-Geschichte.

Der Watson-Trade ist nicht nur wegen dessen Anklagen und der ausstehenden Sperrung kontrovers. Watsons Vorgänger bei den Browns, Baker Mayfield, hat eine enttäuschende Saison hinter sich, die er zu einem Grossteil mit einer Schulterverletzung bestritt.

Dennoch trug der 2016-Nummer-1-Pick einen massgeblichen Teil zum Wiederaufbau der lange so bedeutungslosen Browns bei. 2020 führte Mayfield die Browns zum ersten Playoffsieg seit beinahe 30 Jahren und galt für einige Browns-Fans immer noch als Identifikationsfigur schlechthin.

Deshaun Watson ersetzte bei den Browns Baker Mayfield. - keystone

Trotzdem strebte die Browns-Führung um Präsident Jimmy Haslam und GM Andrew Berry einen Kurswechsel an, mit der Begründung, jemanden «erwachsenes» im Locker-Room zu benötigen.

Scheinbar sahen sie das in Deshaun Watson. Baker Mayfield schickten die Browns im selben Sommer zu den Carolina Panthers. Watson nahm seinen Platz ein. Es soll ein erzwungener Neuanfang werden, welcher der Browns-Führung lange noch Kopfzerbrechen bereitet.

Die Sperre, die Verletzungen, die Ablenkung

Watsons erste Saison bei den Browns war nur eine halbe: Die NFL sperrte ihn für 11 Saisonspiele wegen Verstosses gegen die NFL-Verhaltensvorschriften im Rahmen der schweren Vorwürfe gegen ihn.

Somit hat Watson vor seinem ersten Spiel für die Browns im Dezember 2022 fast zwei Jahre lang kein NFL-Spiel gespielt – und das zeigt sich. Die Saison 2022 beendet er mit dem tiefsten Quarterback-Rating (79.1) und Touchdowns-zu-Interceptions-Verhältnis seiner Karriere (7 TD, 5 INT).

Nach langer Pause gelingt Deshaun Watson kein guter Start bei den Browns. - keystone

In die Folgesaison 2023 startet Watson ähnlich unspektakulär. Bereits nach drei Saisonspielen fällt Watson ein erstes Mal wegen Schulterproblemen aus. Nach drei weiteren Spielen im Oktober verletzt sich Watson erneut an der Schulter und fällt für den Rest der Saison aus.

Damit kommt Watson in zwei Jahren auf 12 Spiele – die Browns entlöhnen ihn in dieser Zeit mit 90 Millionen Dollar. Und schlimmer: Ex-Brown Baker Mayfields blüht währenddessen bei seinem dritten Arbeitgeber nach dem Rauswurf bei den Browns voll auf: Der 28-Jährige führt seine Tampa Bay Buccaneers entgegen allen Erwartungen bis in die Divisionsrunde der Playoffs.

Auch die Browns erreichen 2023 die Playoffs, allerdings mit Veteran-Quarterback Joe Flacco und eben nicht mit Watson. Flacco zeigt 2023, was mit dieser hochtalentierten Browns-Mannschaft möglich ist.

Historisch schwach

Doch jetzt, wo Deshaun Watson wieder am Ruder ist, wirken die Browns taktlos, einfallslos, schlichtweg verloren.

Bei diesen 1-zu-4-Browns kommen Erinnerungen hoch an die historisch schwachen 0-zu-16-Browns von 2017. Deshaun Watsons EPA-Wert (Erwartete Punkte pro Spieler) von -0.30 ist der tiefste Wert eines Browns-Quarterbacks in den ersten fünf Saisonspielen seit 2000. Nicht mal 2017 war das Quarterback-Play so schlecht wie das von Watson in dieser Saison.

Zahlreiche Browns-Fans fordern nun den Abbruch des Watson-Experiments, doch Headcoach Kevin Stefanski hält weiter an ihm fest – weil er muss.

Deshaun Watson enttäuscht die Fans der Browns. - keystone

Denn 2022 haben die Browns die bewusste Entscheidung getroffen, einen vermeintlich «erwachseneren» Quarterback, der zwei Jahre lang kein NFL-Football gespielt hat und von über 25 Frauen der sexuellen Nötigung beschuldigt wird, mit einem mehrjährigen, unauflösbaren und bedingungslosen Mega-Vertrag auszustatten. Jetzt sitzen sie auf einer 230-Millionen-Dollar-schweren Fehlinvestition fest.

Was nun?

Watson ist nicht mehr das, was er mal war. Kaum ein Spieler ist so unbeliebt bei seinen Fans, bringt so viel Ablenkung in einen Locker-Room wie er. Nach zweieinhalb Jahren als Brown hat er beinahe 120 Millionen Dollar verdient und dabei mehr Zivilklagen aussergerichtlich lösen müssen (23) als Touchdowns geworfen (19).

Umfrage

Verfolgst du die NFL?

Ja.
54%
Nein.
46%

Präsident Jimmy Haslam, GM Andrew Berry und Headcoach Kevin Stefanski haben einen 230 Millionen-, fünf Draft Picks teuren Fehler gemacht. Vielleicht ist es an der Zeit, den Fehler einzugestehen – und einen Kurswechsel zu wagen.