Afghanistan: Es droht eine humanitäre Katastrophe
Seit die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben, herrscht noch grössere Unsicherheit. Doch schon vor der Machtübernahme war die Not im Land gross.
Das Wichtigste in Kürze
- Die humanitäre Lage in Afghanistan hat sich in den vergangenen Monaten verschlechtert.
- Fast die Hälfte der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen.
- Frauen und Kinder benötigen jetzt besonders Schutz.
- Hilfsorganisationen wie World Vision bleiben vor Ort.
Wegen der verstärkten Kämpfe sind seit Beginn des Jahres bereits Hunderttausende Menschen innerhalb von Afghanistan geflohen. Die Machtübernahme der Taliban im August hat die Lage im Land zusätzlich verschärft.
Die Binnenflüchtlinge brauchen dringend Hilfe zum Überleben. 18 Millionen Menschen sind nach Einschätzung der UNO von einer humanitären Katastrophe bedroht. Das ist fast die Hälfte der Bevölkerung.
Aufgrund einer langanhaltenden Dürre hat mehr als ein Drittel der Bevölkerung nicht genug zu essen. Laut der internationalen Hilfsorganisation World Vision sind mehr als 2 Millionen Kinder akut von Unterernährung bedroht.
Afghanistan war bereits zuvor auf internationale Hilfe angewiesen. Gemäss der Weltbank wurden im Jahr 2020 rund 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus dem Ausland finanziert.
Nach der Vereinnahmung des Landes durch die Taliban haben immer mehr Länder die Hilfszahlungen eingestellt oder einen Stopp angekündigt. Eine Katastrophe für das verarmte Land.
Die Schweiz kündigte jedoch in einer offiziellen Medienmitteilung des Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (eda) an, die humanitäre Hilfe in Afghanistan sogar zu erhöhen.
Hilfsorganisationen wie World Vision sehen sich deshalb umso mehr in der Verantwortung der nächsten Generation ein Leben in Würde und Sicherheit zu ermöglichen. Sie bleibt deshalb vor Ort, um einer möglichen Katastrophe entgegenzuwirken.
Frauen und Kinder brauchen jetzt besonderen Schutz
Laut der Watchlist 2020 ist Afghanistan nicht erst seit der Machtübernahme eines der gefährlichsten Länder der Welt, um ein Kind zu sein. Kinder werden bei Kämpfen oder durch Minen verletzt oder getötet. Nicht selten werden die Jungen für die Kämpfe rekrutiert und Mädchen als Kinder verheiratet.
«Kinder sind einem grösseren Risiko von Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung ausgesetzt. Familien, die aufgrund des Konflikts, der verheerenden Dürre und der Auswirkungen von Covid-19 bereits mit dem Elend zu kämpfen haben, greifen nun vermehrt zu verzweifelten Massnahmen, um ihre Kinder zu schützen, darunter auch Kinderheirat. Die Menschen sind jetzt am verwundbarsten», sagt Asuntha Charles, nationale Direktorin von World Vision in Afghanistan.
Die Hilfsorganisation hat sich trotz der unsicheren Lage entschieden, im Land zu bleiben und die Arbeit fortzusetzen – auch wenn zurzeit in eingeschränkter Funktion. Denn es sei keine Option, jahrzehntelange Fortschritte rückgängig zu machen, ergänzt Charles.
Viel erreicht in 20 Jahren
World Vision ist seit 2001 in Afghanistan aktiv. In Afghanistan hat sich in den letzten 20 Jahren viel verändert. Immer mehr Frauen und Mädchen erhielten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung.
Frauen konnten sich vermehrt sozial und politisch einbringen. Zurzeit ist noch ungewiss, wie viel der Rechte nach der Machtübernahme der Taliban erhalten bleiben werden.
Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid hat zwar in der italienischen Zeitung «La Repubblica» bekräftigt, dass Frauen künftig weiter studieren und gewisse Berufe ausüben dürfen.
Zurzeit versichern die Taliban auch den Hilfsorganisationen, dass ihre Sicherheit gewahrt bleibt und die weiblichen Angestellten weiterhin arbeiten dürfen.
Ob diesen Aussagen zu trauen ist, wird sich in Zukunft zeigen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt, wenn sich der internationale Medienrummel gelegt hat und das Land wieder aus dem Fokus der Öffentlichkeit rückt.