Kinder: Die Vergessenen in der Coronapandemie
Obwohl Kinder am wenigsten von Covid-19 betroffen sind, leiden sie am meisten unter dessen Folgen. Doch ihre Bedürfnisse werden kaum diskutiert.
Das Wichtigste in Kürze
- Weltweit sind Kinder von den Folgen des Coronavirus betroffen.
- In der Schweiz und Europa leiden Kinder besonders an Einsamkeit und fehlendem Kontakt.
- In ärmeren Ländern sind die Auswirkungen des Lockdowns noch gravierender.
- Millionen Kindern droht Gewalt, Schulverbot, Zwangsheirat und Kinderarbeit.
Die Einschnitte in den Alltag durch den Lockdown im Frühling waren für jeden einzelnen spürbar. Home Office, Kurzarbeit, Einschränkung bei Besuchen von Freunden und Schulschliessungen. Wie stark wir uns im Winter einschränken müssen, wird sich noch zeigen.
Für jeden ist diese Zeit eine Herausforderung. Doch was bedeutet diese unsichere Situation für Kinder?
Bedürfnisse der Kinder werden kaum wahrgenommen
Obwohl der Lockdown gravierende Auswirkungen auf das Leben der Kinder hat, kommen ihre Bedürfnisse in der politischen Debatte zu Corona kaum vor.
Dabei hat die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin in einer Stellungnahme festgestellt, dass die abrupte Schliessung der schulischen Einrichtungen und wochenlange Kontaktsperre zu Freunden und Lehrpersonen einen starken bis traumatischen Verlust darstellt.
Kinder leiden besonders unter gefühlter Einsamkeit und dem fehlenden Kontakt zu ihren Freunden. Umfragen zeigen zudem, dass die Angst, die Grosseltern zu gefährden, die Kinder stark belastet.
Auch geht der Stress, den die Eltern durch finanzielle Einbussen, Home Office oder Kinderbetreuung zu Hause erleben, nicht spurlos an ihnen vorbei.
In der Schweiz, wo es auch während des Lockdowns möglich war, nach draussen zu gehen, litten Kinder zum Glück etwas weniger als in Ländern mit strikteren Massnahmen.
Für Kinder in Spanien, Italien oder Frankreich war der Lockdown noch einschneidender. Während Wochen konnten die Kinder ihre Wohnung nicht verlassen oder nur kurz in Begleitung eines Erwachsenen. Die psychische Belastung war enorm.
Zunahme an Anrufen beim Sorgentelefon
Bei der italienischen Kinder- und Jugendberatungsstelle «Telefono Azzurro» hat man während des ersten Lockdowns im Frühling bereits ab der zweiten Woche eine deutliche Zunahme der Anrufe verzeichnet.
Auch in der Schweiz meldete das Sorgentelefon für Kinder und Jugendliche während des Lockdowns im März einen leichten Anstieg an Anrufen.
Die Kinder und Jugendlichen litten an Angstzuständen, Einsamkeit, Unsicherheit und Gewalt in der Familie. Weitere Folgen der Ausgangssperre werden erst in ein paar Monaten oder Jahren sichtbar werden.
Denn noch noch fehlt es in der Schweiz und in Europa an zuverlässigen Studien zu den langfristigen Auswirkungen der Coronapandemie auf die Kinder. In anderen Gegenden der Welt zeichnen sich die Folgen des Lockdowns jedoch bereits jetzt ab.
Lockdown: Das Ende ihrer Kindheit
Statt darauf zu hoffen, dass bald wieder die Schulen aufmachen oder sie mit ihren Freunden draussen spielen können, droht Millionen von Kindern in vielen ärmeren Regionen der Welt Zwangsheirat, Kinderarbeit oder sogar Schwangerschaft.
Die Coronapandemie hat viele arme Familien noch tiefer in die Armut getrieben. Dies trifft besonders Länder in Lateinamerika, in Afrika und und im südlichen und östlichen Asien, wo die Wirtschaft und Sozialsysteme schwach ausgeprägt sind. Viele Familien haben über Nacht ihr ganzes Einkommen verloren – mit gravierenden Konsequenzen für die Kinder.
Arme Familien sehen sich gezwungen, ihre Töchter zu verheiraten, damit sie versorgt sind. Das internationale Kinderhilfswerk World Vision prognostiziert, dass bis zu vier Millionen mehr Mädchen in den nächsten zwei Jahren aufgrund der Coronapandemie verheiratet werden.
Für Jungen steigt unter den schwierigen wirtschaftlichen Umständen der Druck, Arbeit zu suchen statt zur Schule zurückzukehren.
Gewalt ist eine weitere Bedrohung, denen die Kinder aufgrund des Lockdowns ausgesetzt sind.
«Wir rechnen mit einem starken Anstieg der Fälle, in denen Kinder körperliche, emotionale und sexuelle Gewalt erleben», warnt Simon Lewchuk, Mitverfasser eines World-Vision-Berichts zu den Auswirkungen der Covid-19-Krise.
Bis zu 85 Millionen Mädchen und Jungen sollen weltweit davon betroffen sein. Bei sehr vielen Kindern werde sich die Gewalt noch lange nach dem Abklingen der Pandemie auswirken, sagt Lwechuck.
Kinder weltweit leiden unter den Coronafolgen
Obwohl Kinder am wenigsten vom Virus betroffen sind, leiden sie am stärksten unter dessen Folgen. Besonders betroffen sind die Kinder in ärmeren Ländern. Sie laufen Gefahr, in einem Teufelskreis aus mangelnder Bildung und früher Ehe oder Schwangerschaft stecken zu bleiben.
So droht in den Ländern des globalen Südens, eine ganze Generation vom Schatten der Pandemie verschluckt zu werden.