Ausstellung «Fresh Window»: Hier trifft Kunst auf Schaufensterdesign
Vom Schaufenster zur Kunst: Die Ausstellung untersucht das kreative Spannungsfeld zwischen Konsum und Kultur.
Das Wichtigste in Kürze
- «Fresh Window» beleuchtet die Verknüpfung zwischen Kunst und Schaufensterdesign.
- Die Ausstellung läuft vom 4. Dezember 2024 bis 11. Mai 2025 im Museum Tinguely.
Jean Tinguely begann 1941 die Lehre im Warenhaus Globus als Schaufensterdekorateur. Zwar musste er seine Ausbildung nach einer fristlosen Kündigung anderswo abschliessen, trotzdem ermöglichte ihm die Ausbildung als freischaffender Dekorateur anfangs, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
1969 kommt Tinguely zurück zur Schaufensterdekoration. Im Schaufenster des Berner Warenhauses Loeb setzte er seine Geschirr zerschlagende Maschine «Rotozaza III» in Gang. Damit kritisierte der Schweizer Künstler ebenso spielerisch wie radikal die westliche Konsumgesellschaft.
Das Beispiel ist nur eines von vielen und zeigt, wie eng die Geschichte von Schaufensterdekoration und bildender Kunst verwoben ist. Mit dieser Thematik setzt sich auch die neue Ausstellung «Fresh Window» im Museum Tinguely auseinander.
Als erste Museumsausstellung überhaupt widmet sich «Fresh Window» der Verknüpfung von Kunst und Schaufensterdesign. Die Ausstellung spannt den Bogen vom Kaufhaus um die Jahrhundertwende bis zu den heutigen, exklusiven Luxusboutiquen der Gegenwart.
«Fresh Window» ist vom 4. Dezember 2024 bis 11. Mai 2025 im Museum Tinguely zu sehen und präsentiert Beiträge von rund 40 Kunstschaffenden des 20. und 21. Jahrhunderts.
Entdecken Sie darin die noch wenig bekannten Seiten von Kunstschaffenden wie Jean Tinguely, Robert Rauschenberg oder Andy Warhol. Hier finden Sie alle Informationen zur Ausstellung.
Das Schaufenster als Ort künstlerischer Experimente
Die vielschichtige und spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema kommt bereits im Titel «Fresh Window» zum Ausdruck. Dieser verweist auf Marcel Duchamps Werk «Fresh Widow» (1920).
In diesem Werk wird die Sicht durch das französische Fenster mit schwarzem Leder verdeckt, wodurch es seine eigentliche Funktion verliert und gleichzeitig zur Metapher für die Trauer der Witwe wird.
Das Motiv des verdeckten Fensters wurde auch von anderen Kunstschaffenden in der Ausstellung aufgegriffen, beispielsweise von Verhüllungskünstler Christo in seinen «Store Fronts», die mit Stoff verhangen oder mit Papier zugeklebt sind.
Die Kunstschaffenden thematisieren das Schaufenster auch als gesellschaftlichen Spiegel. Gesellschafts- und Geschlechterverhältnisse, Gentrifizierung und westliche Konsumkultur sowie Kapitalismuskritik können hier hinterfragt werden. Ebenso schafft das Schaufenster eine Bühne, auf der politische, soziale und urbane Veränderungen diskutiert werden.
Doch nicht nur das. Das Schaufenster ist auch ein Ort der Interaktion, des Dialogs und der Begegnung. Viele Kunstschaffende nutzten Schaufenster auch als Experimentierfeld, um neue Verbindungen zwischen Kunst und Öffentlichkeit zu erproben.
Das Schaufenster: Hier trifft Kunst auf Konsum
Als das Schaufenster im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem zentralen Instrument der modernen Konsumkultur aufstieg, setzten sich bald auch Kunstschaffende mit dem neuen Phänomen auseinander.
Im New York der 1950er Jahre spielte der Art Director Gene Moore des Warenhauses Bonwit Teller und des Juweliergeschäfts Tiffany & Co. eine wichtige Rolle. Moore förderte das Talent junger, noch unbekannter Kunstschaffender.
So wählte er zum Beispiel Werke von Sari Dienes oder Susan Weil für seine Schaufensterauslagen aus oder beauftragte Robert Rauschenberg, Jasper Johns oder Andy Warhol mit aufwendigen Dekorationen. Das noch bevor diese in der Kunstwelt Fuss fassten.
Einige dieser Schaufenster werden in der Ausstellung durch Fotografien dokumentiert oder originalgetreu rekonstruiert und können so nach rund 70 Jahren erstmals wiederentdeckt werden.
Umgekehrt wurde das Schaufenster als Motiv von Kunstschaffenden in zahlreichen Gemälden, Installationen, Skulpturen, Videoarbeiten und Fotoserien aufgegriffen. Richard Estes, Peter Blake oder Ion Grigorescu thematisierten in den 1960er und 1970er Jahren die bunte, üppige Welt des Kapitalismus.
Die verführerische Funktion von Schaufenstern wird in Martina Morgers Performance «Lèche Vitrines» (2020) deutlich. Im Bann der üppigen Schaufensterdekorationen leckt sie die Scheibe ab. «Lèche Vitrines» bedeutet wortwörtlich übersetzt «Schaufenster ablecken» und wird in Frankreich zur Bezeichnung eines «Schaufensterbummels» genutzt.
Das Schaufenster als gesellschaftlicher Spiegel
Auch die Rolle des Schaufensters als Spiegel der Gesellschaft wird von den in der Ausstellung präsentierten Künstlerinnen und Künstlern thematisiert.
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts dokumentierten Eugène Atget in Paris und Berenice Abbott in New York die Fronten verschiedener Geschäfte. Dass sich anhand von Schaufensterdekorationen auch politische Veränderungen nachvollziehen lassen, zeigen die Fotografien von Iren Stehlis. Diese hat sie von den 1970er bis in die 1990er Jahre in Prag aufgenommen.
Martha Rosler bildet in ihrer Fotoserie «Greenpoint: New Fronts» (2015 bis heute) die Gentrifizierung ihres New Yorker Heimatquartiers ab. In ihrem «Greenpoint Project» (2011) porträtierte sie ausserdem die Menschen hinter den Scheiben. Damit zeigt sie die Bedeutung, die Läden in einem sozialen Gefüge einnehmen können.
Auf den zunehmenden Leerstand und die verwaisten Schaufenster heutzutage verweisen die fotorealistischen Gemälde von Sayre Gomez oder die filmisch-atmosphärischen Fotografien von Gregory Crewdson.
Das Schaufenster als Bühne
Auch Performance- und Aktionskünstlerinnen und -künstler nutzen Schaufenster mit ihren gut sichtbaren Auslagen an prominenter Stelle als Bühne. Sie schaffen es so, gesellschaftspolitische und soziale Themen zu verhandeln.
Vlasta Delimar oder María Teresa Hincapié etwa nutzten das Schaufenster, um auf tradierte Rollenbilder der Frau aufmerksam zu machen.
Marina Abramović tauschte 1976 in ihrer Performance «Role Exchange» den Platz mit einer Prostituierten im Fenster eines Amsterdamer Bordells. Damit hinterfragte sie nicht nur den Wert, der verschiedenen Tätigkeiten zugeschrieben wird, sondern auch die moralischen Konnotationen des Schaufensters.
Sherrie Rabinowitz und Kit Galloway ermöglichten 1980 mithilfe innovativster Technik, dass Passantinnen und Passanten vor einem Schaufenster in New York durch eine Form der Videotelefonie mit Spazierenden in Los Angeles in Austausch treten konnten. Ihre Arbeit «Hole in Space» zeigt, welche positive, vermittelnde Rolle das Schaufenster einnehmen kann.
Alle Informationen zu «Fresh Window» im Museum Tinguely finden Sie hier.