Linguistiker Noam Chomsky wird 90
Was Charles Darwin für die Biologie war, ist Noam Chomsky für die Linguistik. Mit 90 Jahren und 120 Büchern scheinen ihm die Ideen nicht ausgegangen zu sein.

Das Wichtigste in Kürze
- Noam Chomsky war über vier Jahrzehnte Professor.
- Er erhielt zwei Dutzend Ehren-Doktorwürden von Hochschulen weltweit.
In der Grundschule bieten Schülerzeitungen gewöhnlich Neuigkeiten vom Pausenhof, Steckbriefe oder auch Scherzfragen. Als Noam Chomsky mit zehn Jahren einen Beitrag für eine Schülerzeitung in Philadelphia verfasste, beklagte er den wachsenden Faschismus in Europa nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs. Als die Truppen von General Francisco Franco 1939 dann in Barcelona einmarschierten – Noam war gerade elf Jahre alt –, weinte der Junge.
Chomskys herausragende Intelligenz machte sich früh bemerkbar, heute wird er als Superstar linker Intellektueller verehrt. Seine Beiträge zur Sprachwissenschaft und den Erforschungen über das menschliche Bewusstsein sind kaum zu bemessen. Am 7. Dezember wird Chomsky 90 Jahre alt. Seine Energie und Ausdauer im hohen Alter begründete er in der «New York Times» vor einigen Jahren mit der «Fahrrad-Theorie»: «So lange du weiterfährst, fällst du nicht hin.»
Die Laster der Grossen Depression (1929-39) knüpften fast nahtlos an den Zweiten Weltkrieg an, als Noam Chomsky mit seinem jüngeren Bruder aufwuchs. Die russisch-jüdischen Eltern hatten Arbeit (sein Vater war College-Professor), aber Armut und Unterdrückung griffen überall um sich. Vor einer Textilfabrik beobachtete er, wie Polizisten demonstrierende Frauen blutig schlugen. Seine Wut über die Ungleichheit in der Welt sollte er später in zahllosen Beiträgen zur Aussen- und Wirtschaftspolitik der USA entladen.
Zwei Dutzend Ehren-Doktorwürden
Die kometenhafte Akademikerlaufbahn Chomskys begann an der University of Philadelphia. Beeinflusst von seinem Mentor Zellig Harris grub er sich immer tiefer in die Welt der Linguistik ein und bekam bald einen Lehrauftrag am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. Eine vier Jahrzehnte überspannende Professur, zwei Dutzend Ehren-Doktorwürden von Hochschulen weltweit und Vorträge an Elite-Universitäten wie Columbia und Princeton folgten.
Chomskys Ideen beeinflussten Psychologie, Philosophie und das Verständnis darüber, wie der Mensch seine Umwelt wahrnimmt und Informationen verarbeitet. Ein Ergebnis dieser Forschung ist das Feld der Kognitionswissenschaft. Aber auch Soziologen und Anthropologen horchten auf, sind die heute gebräuchlichen, unendlich komplexen Sprachen doch eine Fähigkeit, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Linguist Norbert Hornstein fasste zusammen: Fische schwimmen, Vögel fliegen, Menschen sprechen.
Ungebrochen giesst Chomsky sein Wissen in Bücher – etwa 120 hat er seiner Website zufolge veröffentlicht. Er hat über Klangmuster des Englischen geschrieben, über Haiti und Frieden im Nahen Osten. Wieder und wieder hat er die Welt erklärt, ihre Machtstrukturen und die Dynamik der amerikanischen Gesellschaft. Besser geworden ist sie deshalb nicht unbedingt. Im Juni sagte er dem Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou: «Es liegen ernsthafte Aufgaben vor denjenigen, die nach einer lebenswerten Welt streben.»