Orthorexie: Gesunde Ernährung ohne Genuss und Freude
Gesunde Ernährung – ganz ohne fettige oder süsse Sünden: Wer an Orthorexie erkrankt, folgt im Essverhalten strikten Regeln. Lebensfreude bleibt bald aussen vor.
Das Wichtigste in Kürze
- Wenn «gesunde Ernährung» zum Zwang wird, spricht man von Orthorexie.
- Zucker- oder fettreiche Nahrung oder Lebensmittel mit künstlichen Zusatzstoffen sind tabu.
- Was «gesund» klingt, kann schwere Auswirkungen auf die Psyche und den Körper haben.
Essen ist für die meisten Menschen nicht einfach nur Nahrungsaufnahme. Essen ist auch Spass, Genuss, Lebensfreude. Dann etwa, wenn man sich das Stück Torte, die frittierten Zwiebelringe oder die Pommes Frites schmecken lässt.
Allerdings gibt es Menschen, die diese fettigen und süssen Leckereien ablehnen – ganz grundsätzlich. Ihr Speiseplan setzt sich ausschliesslich aus Lebensmitteln zusammen, die als gesund gelten. Dieses Essverhalten nennt sich Orthorexie.
Das Wort «Orthorexie» stammt aus dem Griechischen und heisst übersetzt so viel wie «der richtige Appetit». Zucker- oder fettreiche Nahrung oder Lebensmittel mit künstlichen Zusatzstoffen sind tabu.
«Das Essverhalten von Orthorektikern ist zwanghaft, reguliert und durchgeplant», sagt Elke Binder, Ernährungsberaterin in Kempten.
Dahinter steht nicht zwangsläufig der Wunsch, das Körpergewicht zu halten oder gar abzunehmen. Wer sich kompromisslos gesund ernährt, erhofft sich davon meist, so Zivilisationskrankheiten vorzubeugen.
Junge Frauen sind am häufigsten betroffen
Frauen sind deutlich anfälliger für Orthorexie als Männer. Zudem sind eher jüngere Frauen betroffen. Das könnte mit dem schlanken und fitten Schönheitsideal zusammenhängen, das über soziale Medien und Werbung verbreitet wird.
Betroffenen fehlt oft das Vertrauen in ihren Körper. Auch Leistungsdruck und starke Selbstbeherrschung können Orthorexie begünstigen.
Orthorexie entsteht schleichend
Die Entwicklung hin zum Orthorektiker verläuft meist schleichend.
«Oft fängt es damit an, dass Betroffene sich streng reglementierte Essenspläne erstellen und sich bei der Umsetzung von einer App förmlich kontrollieren lassen», erläutert Ernährungsberaterin Binder.
So gelangen Betroffene zu einer extremen Selbstkontrolle beim Essen.
Und wenn man doch mal ein halbes Stück Kuchen gegessen – und gegen die eigenen Regeln verstossen hat? In so einem Fall fühlen sich Betroffene oft schuldig und glauben fälschlicherweise, ihrem Körper geschadet zu haben.
Die Folgen sind vielfältig
Orthorexie kann unterschiedliche Folgen haben. Auch wenn Betroffene vor allem gesunde Lebensmittel zu sich nehmen, kann ihre Ernährung einseitig werden. Oft begleitet auch ein Gewichtsverlust die Orthorexie.
Zuletzt kann es passieren, dass die Lebensfreude getrübt wird. Denn: Die starren Regeln lassen es nicht zu, sich etwas zu gönnen.
Orthorexie ist derzeit allerdings nicht als Krankheit anerkannt. Die Fachwelt diskutiert, ob Orthorexie überhaupt einen Krankheitswert hat», sagt Ernährungsmediziner Prof. Johannes Georg Wechsler.
Aus seiner Sicht kann nicht von einer Ess- oder Suchtstörung die Rede sein. Eine Orthorexie in leichterer Ausprägung könnte am ehesten als eine «Macke» der jeweiligen Person durchgehen, so Wechsler.
Bei Leidensdruck ist eine Therapie sinnvoll
In solchen Fällen kann Hilfe von einer Person kommen, die das Thema Essen lockerer sieht. Das kann etwa der Partner oder ein guter Hausarzt sein, der versucht, einen von den starren Regeln abzubringen.
Anders sieht es aus, wenn ein Orthorektikerunter dem eigenen Essverhalten leidet oder es zu einem echten Zwang wird.
Dann kann laut Wechsler eine Psychotherapie sinnvoll sein, die die Gründe hinter dem Ernährungsverhalten erforscht und dabei hilft, sie zu überwinden.
Anlaufstellen sind dann Psychologen oder Psychotherapeuten, die auf Zwangshandlungen spezialisiert sind. «Je früher man sich bei Orthorexie schwerer Ausprägung Hilfe holt, desto besser ist es für den Körper des Betroffenen», so Elke Binder.