«Aufgeben war keine Option»
Das Wichtigste in Kürze
- Der Great Himalaya Trail ist einer der schwierigsten Trails weltweit und wurde erst von wenigen Wagemutigen bewältigt.
- Der Journalist und Ultramarathon-Läufer Peter Hinze ist die Strecke von über 1800 Kilometer quer durch Nepal gelaufen.
- In seinem Buch «The Great Himalaya Trail» und im Interview spricht er über die Strapazen und spannende Begegnungen.
Herr Hinze, mit über 1800km und tausenden Höhenmetern ist der Great Himalaya Trail der längste und wahrscheinlich anstrengendste Trail der Welt. Weniger als 100 Menschen haben diese Strecke bisher komplett absolviert. Sie sind sie in 87 Tagen gelaufen – wie kommt man auf so ein Vorhaben?
Peter Hinze: Ich liebe die Berge, ich liebe den Himalaya und seine Menschen. Und ich laufe gern und lang. Damit steht die Kombination. Es ist doch grossartig, wenn man zwei Vorlieben in einem Projekt verbinden kann. Obwohl dem Start ein Jahr Planung vorausgegangen war, war der Respekt vor dem ersten Schritt enorm. Es geht wohl nur, wenn man nicht zu viel überlegt, sondern einfach dem Motto folgt: Mach es!
Was verbindet Sie mit der Himalaya-Region?
Ich kam im Jahr 1982 das erste Mal in den Himalaya. Eher durch Zufall, denn aufgrund eines Behördenfehlers in China erhielt ich das Visum für das damals noch für Ausländer gesperrte Tibet. Und dann reiste ich 3000 Kilometer per Anhalter über das Dach der Welt. Inzwischen blicke ich auf mehr als zwanzig Himalaya-Reisen zurück, vor allem nach Nepal, aber auch immer wieder nach Tibet, Indien und nach Bhutan.
Welches Ziel verfolgten Sie mit dem Projekt und was treibt Sie an?
Für mich gibt es keinen Zweifel, dass dem Himalaya ein ähnliches Schicksal droht wie den Alpen. Klimawandel, Verlust von Jahrhunderte alten Traditionen, Abwanderung der jungen Bevölkerung, Vordringen der Zivilisation und die Schliessung vieler Klöstern, all dies bedroht die Zukunft des Gebirgszuges. Mein Lauf war nicht nur ein sportliches Abenteuer, es war in erster Linie eine Art Abschied vom Mythos Himalaya. Wir im Westen sehen gern den alten Mönch in seinem Kloster im Schein der Butterlampe seine Gebetsmühle drehen. Diese Bilder sind nur noch etwas für Romantiker. Die Menschen in den teils extrem abgelegenen Regionen wollen keine Butterlampe. Sie wollen Elektrizität. Sie wollen keine Yak-Karawane, sie wollen eine vernünftige Strasse. Sie wollen keinen Laufboten, der Briefe bringt. Sie wollen Internet. Doch damit gerät auch das traditionelle Leben in Gefahr. Mein Buch «The Great Himalaya Trail» welches ich nach dem Lauf geschrieben habe, lässt die Menschen mit ihren Problemen zu Wort kommen. Und es zeigt ein Leben, was es schon bald nur noch in unserer Erinnerung geben wird.
Auf dem Trail waren Sie nicht allein unterwegs. Wer hat Sie begleitet?
Wir waren ein Team. Ich war immer mit drei Sherpas unterwegs. Aus unterschiedlichen Gründen: Wir hatten viel Ausrüstung dabei, die Sherpas trugen jeweils bis maximal 15 Kilo. Normalerweise tragen sie mehr, aber mein Motto lautete: Weniger Gepäck, weniger Belastung für die Sherpas, und dafür lieber einen Teammitglied mehr. Zudem kennen die Sherpas ihre Heimat, sie waren entscheidend für eine gute Orientierung. Doch es gilt: Abseits der Heimat, ist auch der Sherpa ein Fremder. Wir haben uns immer mal wieder verlaufen. Ähnlich war es mit der Verständigung. In Nepal werden über 120 Dialekte gesprochen. In vielen Regionen konnten sich auch die Sherpas nur schwer verständigen. Solche kleinen Unwägbarkeiten muss man akzeptieren, denn das Positive überwiegt: Es ist einfach ein Genuss ein solches Abenteuer als Team zu bewältigen. Und abends ist es schön, beim Bier nicht allein zu sitzen…
Während ihres Laufs am Trail ging es nicht immer reibungslos. Haben Sie auch mal ans Aufgeben gedacht?
Der gefährlichste Moment, in dem es wirklich eng wurde, ereignete sich leider genau am höchsten Punkt der mehr als 1800 Kilometer langen Strecke: auf dem Tashi Labsta-Pass überraschte uns ein plötzlicher Schneesturm. Wir mussten umkehren und einen Umweg von über 100 Kilometern in Kauf nehmen. Aufgeben war aber keine Option. Wir wollten schnell unterwegs sein, denn unsere Idee war ein Traillauf und keine Wanderung. Ein Trailtag entsprach gut zwei Wandertagen, oder wie man in Nepal sagen würde Trekking-Tagen. Wir sind also fast täglich rund 30 Kilometer gelaufen und waren meist zwischen 8 bis 11 Stunden unterwegs. Das mag langsam klingen, doch zumeist mussten wir in Höhen über 4000 Meter laufen. An einem Tag standen gar drei Pässe über 5000 Meter an.
Welche Begegnung oder welcher Moment auf Ihrer Tour ist Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben?
Wenn man den letzten Pass überquert und sich plötzlich klar wird, dass man eine Strecke von 1863 Kilometer gesund und unverletzt überstanden hat, dann können einem schon mal die Tränen kommen. Es sind aber vor allem die Begegnungen mit Menschen, die am Great Himalaya Trail leben und dort ein oftmals extrem entbehrungsreiches Dasein erdulden, die mir geblieben sind. Ein Jesuitenpater, ein Yakhirte, ein Mönch, ein Ice-Doctor, der am Mount Everest schuftet. Diese Menschen haben eine Geschichte zu erzählen.
Sie unterstützen die Menschen in Nepal auch mit Charity-Projekten. Wie genau sieht diese Hilfe aus?
Als Familie haben wir den Neubau einer Schule im Langtang-Gebiet nach dem Erdbeben 2015 finanziert. Bildung fehlt eigentlich in allen ländlichen Regionen Nepals und Schulen werden dringend benötigt. Während des Great Himalaya Trail ist mir zudem klar geworden, dass die Region Dolpo dringend Hilfe benötigt. Die Region ist selbst für nepalesische Verhältnisse sehr abgelegen und extrem unterentwickelt. Hier bemühe ich mich derzeit um den Bau von Mikro-Gewächshäusern, denn aktuell können nur knapp 30 Prozent der benötigten Lebensmittel von den Bauern im Dolpo selbst produziert werden.