Entdeckung für Gaumen und Augen: Wandern im Oberengadin

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Engadin,

Was haben Silvaplana und eine Engadiner Nusstorte gemeinsam? Sie beide sind immer wieder eine Entdeckung für Gaumen und Augen.

Wanderung bei Silvaplana.
Von Beeren, Bergen und Seen; Eine Wanderung ab Silvaplana birgt viele kleine und grosse Glückseeligkeiten. - Fabian Gattlen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Silvaplana liegt auf 1'800 Metern am Ufer des Silvaplanersees.
  • Die Region rundherum bietet ein vielschichtiges Erlebnis.
  • Besonders gut lässt sich die vielseitige Oberengadiner Natur auf einer Wanderung erleben.
  • Unsere Autorin hat die Probe aufs Exempel gemacht.

Im Mürbeteig der Engadiner Nusstorte sind die Geheimnisse eines ganzen Tals versteckt. Man schmeckt die erdigen Untertöne der Baumnüsse, die sich in cremigem Caramel suhlen. Jede Torte ist einzigartig, ihr Rezept oft über Generationen weitergereicht und perfektioniert.

Silvaplana ist einer Bündner Nusstorte nicht unähnlich. Von den ruhigen Gewässern des Silvaplanersees bis hin zu den zerklüfteten Gebirgslandschaften der umliegenden Alpen; die Region bietet ein vielschichtiges Erlebnis, das man in seiner Umfänglichkeit geniessen muss.

Silvaplana im Oberengadin.
Silvaplana liegt eingebettet zwischen See und Bergen. - Fabian Gattlen.

Silvaplana liegt auf 1'800 Metern am Ufer des Silvaplanersees. Jedes Jahr finden auf dem schillernd türkisen Wasser Segelregatten und Windsurfmeisterschaften statt. Gegen 14 Uhr erreicht der Malojawind mit 60 Stundenkilometern bei gutem Wetter jeweils zuverlässig seine Höchstgeschwindigkeit. Damit macht er den Silvaplanersee zu einem Zentrum des windbetriebenen Wassersports.

Aber an diesem Spätsommermorgen drehen wir dem See den Rücken zu. Unser Ziel sind die Alpen, die hinter einer langen Nebelschwade verborgen das Tal umgeben. Nur sanft brechen die ersten Sonnenstrahlen durch das wolkige Grau. Ein Vorgeschmack auf den beginnenden Tag.

Zauber am Wegrand

Der Wegrand in dem Fichten- und Lärchenwald, der von Surlej zum Crap Alv führt, ist von wilden Heidelbeeren gesäumt. Sie sind klein, ihr Fruchtfleisch – und bald auch unsere Zungen – violett-blau.

Es ist ein Zauber, der nur Waldfrüchten entlang Wanderwegen innewohnt: Erwachsene, die auf einmal Hänge hochkraxeln. Die in ihren hohlen Händen Beeren hamstern. Und deren blau-verschmierte Münder jedes Mal einen kleinen Freudenschrei ausstossen, wenn sie eine ganz besonders reife Frucht gefunden haben. Es ist fast, als setzte die Natur in diesen Bergen ein schlummerndes Kind in uns allen frei.

Hahnensee im Oberengadin.
Der Hahnensee lädt zum erfrischenden Bad. - Noemie Harnickell.

Die Wanderung dauert so zwar länger, aber sie kommt einem kürzer vor. Ein weiterer kleiner Zauber vielleicht, der sogleich vom nächsten abgelöst wird: Der Wald lichtet sich und vor uns liegt der Hahnensee. Die Wolken haben sich verzogen und auf seiner glatten Oberfläche spiegelt sich das Bergpanorama vor dem blauen Himmel wider.

Sils, Silvaplana und See
Wirkt wie ins Tal gegossen: der Silvaplanersee, daneben Sils und Silvaplana. - PD.

Nur: lange bleibt das Wasser nicht glatt. Denn mit einem jauchzenden Platschen, stürzen sich die ersten Wanderinnen in das kühle Wasser des Sees. Ein Kichern, ein tiefer Atemzug, dann verschwindet auf einmal ein Kopf. Drei Meter weiter taucht er wieder auf, Wasserperlen von den Augenbrauen tropfend.

Corvatsch, der schmelzende Eisriese

Je weiter hoch wir steigen, desto mehr entfaltet sich das Panorama der Engadiner Seenplatte unter uns. Der Silvaplanersee wirkt, als wäre er in die Talmulde hineingegossen worden. Mit seinen anderthalb Kilometern nimmt er fast die ganze Breite des Hochtals ein.

Corvatsch-Gletscher
Blick aufs (nicht mehr so) ewige Eis: der Corvatsch. - Noemi Harnickell

In der Ferne blicken wir von dem stattlichen Badrutt's Palace Hotel von St. Moritz über die Corviglia und den Piz Nair bis zum 3'158 Meter hohen Piz da la Margna, der von der Berninagruppe aus über das Tal wacht.

Das wahre Herzstück der Wanderung ist jedoch die Bergstation Corvatsch auf 3’303 Metern über Meer. An den Osthängen des Berges liegt der Corvatsch-Gletscher. Einst ein stolzes Naturdenkmal der Eiszeit, reichte der Corvatsch vor 20'000 Jahren weit ins Alpenvorland hinaus.

Heute ist der eisige Riese massiv von der Klimaerwärmung betroffen. In den letzten Jahren sind am Corvatsch 7'000 Jahre alte Eisschichten geschmolzen – und mit ihnen wichtige Messdaten verloren gegangen.

Der Corvatsch-Gletscher speist Bäche und Seen und ist der Lebensraum einer spezialisierten Flora und Fauna. Darüber hinaus ist der Gletscher auch ein jahrtausendealter Wächter der Klimageschichte unserer Erde. Sein geschichtetes Eis gibt uns Einblicke über frühere Temperaturschwankungen und die Zusammensetzung der Atmosphäre.

Die Aussicht von Alpetta.
Sommerlicher Bergzauber; die Aussicht von Alpetta. - Deborah Gröble.

Seit 2022 kann das Messprogramm am Vadret dal Corvatsch («Vadret» ist das rätoromanische Wort für Gletscher) nicht weitergeführt werden. Das Eis an den Messstellen ist geschmolzen. Überflutungen, Eis- und Gerölllawinen und Steinschläge aus auftauenden Moränenhügeln sind die düsteren Nachkommen des schmelzenden Gletschers.

Die Folgen sind schon jetzt sichtbar. Die Zunge des Corvatsch hängt grau und aufgerissen zwischen Moränenschutt und polterndem Gestein. Nur hier und da kämpfen sich Weidenröschen und Nelkenwurze durch den harten Boden.

Fondue und Schweissfüsse

Die letzte Stunde ist die einfachste. Runter auf zweieinhalbtausend Meter zur Skiclubhütte Margun, in der wir heute Nacht schlafen werden. Wir alle spüren unsere Füsse, unsere Nasen sind in der Sonne rot geworden.

Unten im Tal legt sich schon der müde Schatten der Berge über den Silvaplanersee. Selbst der Malojawind ist am späten Nachmittag mit der untergehenden Sonne eingeschlafen.

Die Sonne gleitet wie goldener Honig über die Hänge der Berge, irgendwo pfeift ein Murmeltier. Ein Fuchs schleicht um die Hütte, der Geruch von schmelzendem Fonduekäse mischt sich mit den von Wanderschuhen befreiten Schweissfüssen.

In vielerlei Hinsicht erinnert mich die Wanderung durch die Engadiner Alpen an die Engadiner Nusstorte. Die wärmende Entspannung, die sich über alles legt. Die Erinnerungen an den Tag, die wie klebriger Caramel alles zu einem werden lassen. Die leise Hoffnung, dass die Welt nicht zu Ende ist, wo noch Nusstorten gebacken werden.

Die Gewissheit, dass durch das Geröll der Zerstörung immer noch Blumen wachsen.

Kommentare

User #4940 (nicht angemeldet)

Ja und Nein. Kommt drauf an.

User #4979 (nicht angemeldet)

Wer nicht wandert kann/will, ist kein Schweizer. Ist das wirklich so?

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