Hansestadt Wismar: Streicheleinheiten für die Glückssau
Schweinerubbeln, Tittentasterstrasse und ein blutrünstiger Vampir: Wismar bietet einen Stadtrundgang mit spannenden Geschichten – und Schmunzelfaktor.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Hansestadt Wismar liegt an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns.
- Ihre Altstadt zählt zusammen mit jener von Stralsund zum UNESCO-Welterbe.
- Beim Rundgang gibt es nicht nur viel zu entdecken, sondern auch so einiges zu schmunzeln.
Am meisten Streicheleinheiten hat ganz klar die Glückssau abgekriegt. Das lässt sich an den vom Rubbeln glänzenden Stellen am Rücken erkennen. Sie soll den Besuchern am meisten Glück bringen.
Aber auch die anderen drei Säuli auf der «Schweinebrücke» glänzen da und dort. Zum Beispiel jene, die «saumüde» darstellt.
Die lustigen Figuren, nur ein paar Gehminuten vom Bahnhof, bilden dem perfekten Startpunkt für einen Stadtrundgang in Wismar.
Zeitreise ins Mittelalter
Weiter geht’s durch die historische Altstadt, die gemeinsam mit jener im rund 120 km entfernten Stralsund zum UNESCO Weltkulturerbe zählt.
Der Ritterschlag wurde Wismar zuteil, weil sich an den mit schmucken Giebelhäusern gesäumten Strassenzügen bis heute die mittelalterliche Hansestadt ablesen lässt.
Wortwörtlich: die Strassennamen rund um den Marktplatz verraten, welches Gewerbe wo angesiedelt war.
So gibt die Geberstrasse und die Weberstrasse. Die Bademutterstrasse – ein altes Wort für Hebammen – und die Böttcherstrasse, in der die Fässer gezimmert wurden.
Die Sargmacherstrasse führt, man denkt es sich fast, zu Kirche und Friedhof.
Tittentasterstrasse
Und dann wäre da noch die Tittentasterstrasse. Dabei handelte es sich allerdings nicht um einen Gewerbezweig, soviel ist klar. Woher der Name der mittlerweile von einem Gebäudekomplex verschluckten Strasse genau stammt, ist umstritten.
Die Vermutung liegt nahe, dass es früher in der ausserordentlich engen Gasse vermehrt zu unsittlichen Berührungen gekommen ist.
«In Wismar gab es 1452 sage und schreibe 182 Brauereien», erklärt Stadtführerin Marita Frauck. «Im Mittelalter wurde hier also so einiges gesoffen», lacht sie.
Dass Mann im Rauschzustand beim Nachhauseweg durch diese enge Gasse den Frauen da und dort etwas zu nahe gekommen ist, kann man sich lebhaft vorstellen.
Heute erinnert nur noch ein Strassenschild an die Gasse. Es ist aufgemalt – denn ein echtes Schild mit dem eigentümlichen Strassennamen war innert zwei Tagen nach Installation geklaut.
Als Wismar den Schweden gehörte
Alter Schwede, mag man sich da denken. Und so heisst auch das Wirtshaus gleich nebenan.
Stadt und Herrschaft Wismar waren 1648, am Ende des 30-jährigen Krieges Schweden zugesprochen worden.
Die Region erlebte daraufhin eine bewegte Geschichte und wurde gegen Ende des 17. Jahrhunderts sogar zur grössten Festung Europas.
1803 wurde Wismar dann für vorerst 100 Jahre an das Grossherzogtum Mecklenburg zurückverpfändet. Nach Ablauf der 100 Jahre verzichtete Schweden auf die Einlösung es Pfandes, und somit auf Wismar.
Jedes Jahr im August (dieses Jahr vom 18. - 22.8) steigt in Erinnerung daran das grosse Schwedenfest. Auf dem riesigen Marktplatz wird dafür ein historisches Heerlager eingerichtet, am Hafen herrscht buntes Jahrmarktstreiben.
Und beim Schwedenlauf nehmen die Wismarer (und Andere) ihre Beine unter die Arme und sprinten durch die Altstadt.
Die gesprengte Kirche
Die Marienkirche erzählt ebenfalls eine spannende Geschichte, wenn auch eine wenig rühmliche. In den letzten Zügen des zweiten Weltkriegs beschädigt, serbelte das mächtige Backstein-Bauwerk mehr als ein Jahrzehnt lang vor sich hin.
Eine Instandsetzung kam in der religionsfeindlichen DDR nicht in Frage. Kurzerhand wurde das gigantische Kirchenschiff 1960 gesprengt statt repariert.
Heute erinnern nur noch die Überreste der Grundmauern daran – und der einsame Kirchenturm. Für eine Seefahrerstadt ist so ein hoher Turm nämlich ganz schön praktisch, darum liess man ihn stehen.
Ein Besuch darin lohnt sich wegen der spannenden Mini-Ausstellung trotzdem. In einem Animationsfilm erklärt der lebendig gewordene Backstein Bruno Geschichte und Bauweise.
Ausserdem wird erlebbar, wie gewaltig die Kirche einst war.
Runder Geburtstag eines Vampirs
2022 wird in Wismar gefeiert. Und zwar nicht nur die 20-jährige Zugehörigkeit zum UNESCO Weltkulturerbe. Sondern auch, weil vor genau 100 Jahren im Stummfilmklassiker «Nosferatu» ein an Bram Stoker’s Dracula angelehnter Vampir Angst und Grauen über Wismar brachte.
Besser gesagt über «Wisborg», denn so hiess die fiktive Stadt im Film.
Nosferatu gilt aufgrund seiner Aussenaufnahmen als Meilenstein der Filmgeschichte. Bis dahin hatte sich das noch junge Filmbusiness nämlich auf Studioaufnahmen beschränkt.
Viele der originalen Schauplätze sind auch heute noch fast unverändert. Entsprechende Plaketten weisen darauf hin, etwa beim Wassertor oder dem Innenhof der Heiligen-Geist-Kirche.
Theatertour mit Biss
Für das Jubiläum hat man sich etwas besonderes einfallen lassen. Im Rahmen der «Nosferatour» wird ein an den Film angelehntes Theaterstück mit acht Meter grossen Puppen aufgeführt.
Und zwar als wandelnde Inszenierung, die begleitet vom Publikum in den Gassen Wismars von einem Schauplatz zum nächsten zieht.
Die ab August geplanten Aufführungen sind Teil des vielseitigen Veranstaltungsprogramms «20 Jahre Welterbe» von Wismar und Stralsund. Beste Gelegenheit also, in der malerischen Hansestadt auf Entdeckungsreise zu gehen.
Hin kommt man aus der Schweiz beispielsweise per Nachtzug (via Hamburg oder Berlin). Im Juli und August fährt der «Urlaubs-Express Basel-Ostsee Binz» direkt bis an die Ostsee.