Schneeflüsterer: Herr Monti weiss, wann die Lawine kommt
Lawinenforscher Fabiano Monti lebt beim Freeride Projekt in Livigno seine Leidenschaft für Schnee aus. Er will Sportler für Lawinengefahr sensibilisieren.
Das Wichtigste in Kürze
- Lawinenforscher Fabio Monti will von Livigno aus für das Thema Lawinen sensibilisieren.
- Seine Know-how hat er am WSL in Davos perfektioniert.
- Mit seiner Firma betreut er heute Unternehmen und Skigebiete auf der ganzen Welt.
Fabiano Monti, Anfang Vierzig, ist eine Erscheinung. Grossgewachsen, offen und sympathisch; Typ südländischer Naturbursche mit intellektuellem Touch. Er ist Sportler – und Wissenschaftler mit dem besonderen Fachgebiet «Lawinen».
Naheliegend, dass er mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern in entsprechender Umgebung wohnt. in einem Chalet über dem Hochtal von Livigno (IT), das im Winter nur mit dem Motorschlitten oder mit Tourenski zu erreichen ist.
«So kann ich jeden Morgen mit den Skiern in mein Büro fahren – was gibt es Schöneres, als so den Tag zu beginnen?»
Hier in der Lombardei nahe der Schweizer Grenze ist er für das Freeride-Projekt verantwortlich, das seit 2015 ein besonderes Service des italienischen Wintersportortes ist.
Immerhin gibt es hier ein 100 Quadratkilometer grosses Backcountry-Gebiet zwischen 1800 und über 3000 Metern Höhe, in dem sich Freerider, Tourengeher oder auch Schneeschuhwanderer am Wintererlebnis im freien Gelände erfreuen können.
Das kann abhängig von den Schnee- und Wetterverhältnissen durchaus gefährlich sein. Herzstück des Projekts ist daher die Erstellung und Herausgabe eines täglichen Lawinenbulletins, das detaillierte Informationen über die Stabilität der Schneedecke liefert.
Zusätzliches Tool zum Risikomanagement ist ein tägliches Dossier zur Schneequalität und den Verhältnissen, im alpinen Bereich, im Wald und im Gebiet unterhalb des Waldes.
«Damit können die Wintersportler das Gebiet wählen, das sich am besten für ihre Aktivitäten in der freien Natur eignet bzw. am sichersten ist», sagt Fabiano Monti.
«Die Lawinengefahr ist ein Querschnittsthema, das alle betrifft, die in einer verschneiten Umgebung unterwegs sind: Nicht nur Freerider und Tourengänger sondern auch jene, die Schneeschuhwandern oder beispielsweise über einen Alpenpass fahren.»
Doktorat in Davos
Die gezielte Vermarktung von Backcountry-Sport werde für viele alpine Regionen immer wichtiger. Die Orte stünden allerdings vor der Herausforderung, die Gäste für die Lawinengefahr zu sensibilisieren, damit Unfälle vermieden werden können.
«Für den boomenden Outdoor-Tourismus» sei «Lawinenkunde von grundlegender Bedeutung», sagt Monti, der im Freundeskreis «Schneeflüsterer» genannt wird.
Den Feinschliff für seine Tätigkeit holte sich Monti in der Schweiz. Nach Studien an der Universita Dell´ Insurbia in Como schloss Monti seine Ausbildung am Institut für Schnee- und Lawinenforschung WSL im Davos ab und perfektionierte dort sein Know-how.
Im Zuge seiner Dissertation arbeitete er mit einem speziellen Computermodell zur Ableitung von Schneedeckenmerkmalen aus digitalen stratigrafischen Simulationen.
Dieses rekonstruiert die verschiedenen Schichten der Schneedecke und basiert auf der Berechnung der Massen- und Energiebilanz des Schnees, «das heisst wie viel Masse und Energie in die Schneedecke eintritt und sie verlässt», so Monti:
«Damit lässt sich die Stabilität der simulierten Schneedecke darstellen und die Entstehung potenzieller Schwachschichten identifizieren. Normalerweise wird das mit einem relativ einfachen, aber zeitaufwändigen manuellen Schneeprofil gemacht; digital lässt sich dagegen eine ständige Überwachung der Schneedeckenbedingungen, auch an schwer zugänglichen Stellen, durchführen.»
Theorie und Praxis vereint
2013 gründete er mit drei befreundeten Wissenschaftlern die Firma «AlpSolut», welche die Forschung und Entwicklung von Instrumenten für Lawinenvorhersagen, regionale Behörden und Unternehmen betreibt.
Und die sich auch dem Wissenstransfer verschrieben hat: «Ich habe immer wieder festgestellt, dass der Austausch zwischen Lehre und Praxis nicht befriedigend war», erklärt Monti.
Er will dazu beitragen, das zu verbessern: «Wissenschaft ist manchmal ziemlich weit von einer Praxistauglichkeit entfernt. Oft können Theoretiker aber dabei helfen, Leben zu schützen. Und das motiviert mich immer wieder aufs Neue.»
Monti und sein Team fügen Schneeinformationen aus verschiedenen Quellen – automatische Wetterstationen, numerische Wettermodelle, Satellitendaten und manuelle Beobachtungen – zusammen, um ein möglichst umfassendes Bild der jeweiligen Lawinensituation vor Ort zu geben.
Neben dem wissenschaftlichen Ansatz sei die bewusste Weitergabe des Gefahrenproblems besonders wichtig, sagt Monti:
«Allen Wintersportlern muss bewusst gemacht werden, dass es kein Nullrisiko gibt. Bestmögliche Information und entsprechendes Training ermöglichen es jedoch, Outdoor-Aktivitäten in den Bergen auf sichere Art und Weise durchzuführen.»
Positiver Effekt für Tourismus
Das Engagement von Fachleuten in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden habe auch einen positiven Effekt für den Tourismus, ist der Schneeflüsterer überzeugt.
Denn damit erhielten Gäste das Bewusstsein vermittelt, dass das Gebiet betreut und erforscht und ihnen ein vielfältigeres, sicheres Angebot geboten wird. Und das erhöhe die Bindung zur Region.