Wie Engelberg zum Freeride-Mekka wurde

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Obwalden,

Wie ein schrulliger Tüftler, schwedische Expats und fünf legendäre Abfahrten aus einem Schweizer Bergdorf eine Pilgerstätte für Freerider machten.

Freerider Engelberg Winter
Engelberg zieht Freerider aus der ganzen Welt an. - Engelberg-Titlis Tourismus

Das Wichtigste in Kürze

  • Engelberg ist weltweit als Freeride-Mekka bekannt. Aber wieso eigentlich?
  • Wir haben uns vor Ort auf Spurensuche gemacht und dabei spannende Charaktere getroffen.

Es ist ein verschneiter Morgen in Engelberg, als Daniel Friedli in seiner Werkstatt einen scheinbar hoffnungslosen Fall untersucht. Ein Ski mit einer klaffenden Wunde an der Kante. Für die meisten ein Fall für die Mülltonne. Doch Friedli, den man hier auch den «Ski-Flüsterer» nennt, sieht darin eine Herausforderung.

Mit ruhiger Hand trägt er sein selbst entwickeltes Kunstharz-Gemisch auf, erhitzt es vorsichtig, streicht es glatt und schleift es dann. Zehn Minuten hat's gedauert, dann ist der Ski wieder wie neu.

Dani Friedli Engelberg
Der Tüftler Dani Friedli kann fast jeden Ski reparieren. - zVg/Dani Friedli

«Deswegen kommen die Leute zu mir», sagt er und inspiziert sein Werk unter der Lampe. Was er nicht sagt: Sie kommen auch, weil er einer der Gründerväter dessen ist, was Engelberg heute ausmacht.

Fünf legendäre Abfahrten

Am Fusse des 3200 Meter hohen Titlis strömen Touristengruppen aus aller Welt in Flipflops und Sommerjacken zur Bergbahn. Gleichzeitig hat sich in den vergangenen Jahren still und leise eine andere Szene entwickelt. Eine Szene von Menschen, die nicht wegen der Aussicht kommen, sondern wegen des, nun ja, besonderen Kicks: Freerider, Tiefschneefahrer, Pulverjäger.

Sie alle pilgern hierher wegen der «Big Five» – fünf legendärer Abfahrten, die den Berg hinabführen. Da ist der Steinberg, wo man vom Klein Titlis über den Gletscher zum Trübsee gleitet. Oder der berüchtigte Galtiberg, die «Königsabfahrt», die durch steiles, felsendurchsetztes Gelände führt und selbst erfahrene Rider vor Herausforderungen stellt.

Titlis Ski Winter
Freerider, Tiefschneefahrer und Pulverjäger kommen nicht nur wegen der Aussicht nach Engelberg. - Oskar Enander

Vor ein paar Jahren begann das findige Tourismusbüro, die Routen als «Big Five» zu vermarkten. Und es funktioniert: Engelberg ist mittlerweile weltweit bekannt für seine Abfahrten jenseits der präparierten Pisten.

Hängen geblieben

Auch Sanne Mona ist deswegen in die Schweiz gekommen. Die 34-jährige Schwedin kam vor neun Jahren nach Engelberg, «eigentlich nur für eine Saison». Jetzt will sie nicht mehr weg.

In der Ski Lodge, einem von Schweden geführten Hotel, erzählt sie von dem, was sie hier hält: «Es geht um den Lifestyle, um das Entdecken neuer Abfahrten und das Treffen von Gleichgesinnten.»

Sanne Mona Freeriderin
Die Wahlengelbergerin Sanne Mona wurde eins bei einem Fotoshoot von einer Lawine verschüttet. - Mammut

Dass sie das so entspannt sagen kann, ist nicht selbstverständlich. Vor ein paar Jahren wurde Sanne bei einem Fotoshooting von einer Lawine verschüttet. Einen Meter tief lag sie im Schnee, bis ihre Kollegen sie ausgruben.

Körperlich blieb sie unverletzt, aber die Seele trug Narben davon. Panikattacken, Albträume, lähmende Angst. Doch Sanne kämpfte sich zurück, Zentimeter um Zentimeter, wie durch tiefen Schnee. Heute fährt sie wieder Wettkämpfe, trainiert für die Freeride-Worldtour.

Grosse schwedische Community

Geschichten wie ihre sind es, die den speziellen Geist von Engelberg ausmachen. Sie werden abends in der Ski Lodge erzählt, wo schwedische Ex-Sterneköche in der Küche stehen. Und wo die «Ski-Bums», wie sich die Freerider selbstironisch nennen, bei einem Bier die Lines des Tages diskutieren.

Vor zwanzig Jahren kamen die ersten Schweden, seither verbreitet sich die Nachricht im hohen Norden wie ein Lauffeuer: Hier gibt es Pulverschnee, wie man ihn zu Hause nicht kennt, und eine Community, die einen aufnimmt.

Engelberg-Titlis Freeriden
Die Qualität des Engelberger Pulverschnees verbreitete sich in Schweden wie ein Lauffeuer. - Engelberg-Titlis Tourismus

Die Ski Lodge selbst ist dabei mehr als nur ein Hotel – sie ist das inoffizielle Hauptquartier der Szene. In der holzgetäfelten Bar mischen sich Lokalmatadoren mit Weltcup-Fahrern, Fotografen mit Anfängern.

Hier werden nicht nur Geschichten erzählt, sondern auch Freundschaften geschlossen und Expeditionen geplant. Die Schweden haben dabei eine Art parallele Infrastruktur aufgebaut: vom Skishop bis zum Bergführer-Service – alles in skandinavischer Hand.

Eigenartige Mischung

Auch Daniel Friedli war einmal einer dieser Tiefschnee-Enthusiasten. Heute findet man ihn meist in seiner Werkstatt, wo an den Holzwänden säuberlich sortierte Werkzeuge hängen und selbst entwickelte Reparatur-Tools. Er ist eine Art menschliche Antithese zur Wegwerfgesellschaft, in der manche ihre Skiausrüstung schon nach zwei Saisons austauschen. «Manchmal muss man MacGyver spielen», schmunzelt er, während er den nächsten beschädigten Ski behandelt.

Vielleicht ist es genau das, was Engelberg von anderen Skiorten unterscheidet. Diese eigenartige Mischung aus schwedischer Gemütlichkeit, Schweizer Tüftlergeist und der grenzenlosen Freiheit des Tiefschnees.

Während draussen die Touristengruppen Selfies schiessen, plant drinnen die nächste Generation von Freeridern ihre Traumabfahrt. Und wenn dabei mal ein Ski zu Schaden kommt? Kein Problem. Der Ski-Flüsterer ist ja gleich um die Ecke.

Kommentare

User #2544 (nicht angemeldet)

Ich Frage mich eher wie die Schweiz zum Mekka wurde...

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