Gilles Senn: «Ambrì gibt mir das, was ich mir erhofft habe»
Nach einem Gastspiel in Nordamerika ist der mittlerweile 28-jährige Goalie Gilles Senn beim HC Ambrì-Piotta gelandet und lanciert seine Karriere neu.

Mehr als zehn Jahre verbrachte Senn insgesamt im Bündnerland. Dazu kamen zwei vor allem auch durch die Pandemie geprägte Saisons in Nordamerika.
Der Durchbruch blieb aus, Senn kehrte in die Schweiz zurück, schloss sich 2021 wieder dem HCD an und wechselte auf die laufende Saison hin zum HC Ambrì-Piotta, wo er im Duell mit dem Finnen Janne Juvonen die Nase vorn hat.
«Nach den vielen Jahren in Davos ist es eine sehr gute Abwechslung, tun die neuen Inputs gut und ist das andere Umfeld wertvoll. Zudem fühlen meine Freundin und ich uns im Tessin sehr wohl», zieht Senn eine positive Zwischenbilanz.
Mit- oder gar hauptverantwortlich für seinen Wechsel in die Leventina waren Sportchef Paolo Duca und Coach Luca Cereda.

Die Art und Weise der Arbeit und der Umgang untereinander hätten ihn an seine Anfangszeit in Davos mit Headcoach Arno Del Curto und Goalietrainer Marcel Kull erinnert: «Alle sind offen und ehrlich, es gibt keine Ausreden und kein Drumherumreden, man weiss immer, woran man ist. Ambrì gibt mir das, was ich mir erhofft habe. Der Klub ist wie eine grosse Familie.»
Dass er sich wohlfühlt, zeigt sich auch darin, dass Senn seinen Vertrag bereits im November bis 2028 verlängert hat.
Er sagt: «Nach dem Saisonstart und dem Einleben kam Paolo recht früh zu mir und hat mich gefragt, ob ich mir eine Verlängerung vorstellen könne. Ich sagte sofort zu, vom ersten Gespräch bis zur Verlängerung dauerte es nur eine Woche.»
Ungesunder Perfektionismus
Für Gilles Senn war der Wechsel in die Leventina nach schwierigen Jahren auch eine Art Neustart, nachdem seine Karriere nach der Rückkehr aus Nordamerika ins Stocken geraten war.
Er versuchte es mit der Brechstange, trainierte noch mehr, um die Nummer 1 zu werden, hinterfragte sich zu oft selber, es war der falsche Weg.
«Ich hatte so viel von mir erwartet, mir Druck gemacht, Verantwortung übernommen, auch wenn es nicht mein Fehler war. Ich strebte einen Perfektionismus an, der nicht gesund war.»

Es war eine Art Sackgasse, die er dank der Unterstützung der Mentaltrainerin Rita Sutter verlassen konnte. «Ich habe gelernt, wie man mit solchen Sachen umgeht, auch der Umgang mit mir selber ist anders.
Die Zeit in Davos hat mir aufgezeigt, dass man im Kraftraum und auf dem Eis noch so hart arbeiten kann, aber wenn man nicht mit dem Kopf arbeitet, bringt alles nichts.
Alle Goalies in der National League sind so auf einem guten Niveau, technisch, physisch, dass der Kopf den Unterschied machen kann.»
Statt sich Druck zu machen und ins Zweifeln zu geraten, überzeugt Senn, der im Fernstudium Betriebsökonomie studiert und zwei Semester vor dem Abschluss steht, mit Selbstvertrauen und starken Leistungen.
«Er ist gross und gut gebaut, seine Stärke ist aber sein Charakter, er gibt nie auf, hat eine grosse Kampfbereitschaft, gibt auch im Training keinen Puck her, will immer kleine Schritte vorwärts machen und ist ein absoluter Teamplayer», lobt ihn Coach Cereda.

Und auch Sportchef Duca ist mit Senn zufrieden, sagt: «Er hat mit 1,95 m eine gute Grösse und ist beweglich, methodisch in seiner Arbeit und in der Lage, mit Big Saves zu glänzen, hat unglaubliche Seitwärtsbewegungen, ist ein Profi und wirklich guter Kerl.
Abseits des Eises ist er ein ruhiger Junge, ein Walliser, einer, der sich in den Bergen und in der Natur wohlfühlt, ein Familienmensch, sehr respektvoll, höflich und bescheiden.»
Duell mit Juvonen – und bald mit Wüthrich
Der HC Ambrì-Piotta und Gilles Senn, das scheint zu passen, zumal es dem 28-jährigen Walliser gelungen ist, im Duell mit dem bisherigen Stammkeeper Janne Juvonen dem Druck standzuhalten.
Der Finne sei wie er ein ruhiger Mensch und brauche es, dass sie sich gegenseitig pushen, um noch mehr aus sich herauszuholen, so Senn. «Da ist Janne ein super Partner, in den Trainings schaue ich immer, was er macht, ob er etwas Neues ausprobiert.
Und auch in der Kabine diskutieren wir viel über Ausrüstungen, was besser oder verändert werden kann. Wir haben eine gesunde Beziehung und eine gute Challenge.»
In Zukunft wird sich Senn intern mit Philip Wüthrich messen, der vom SCB in die Leventina kommt. Der Berner ist für den Walliser kein Unbekannter.

«Ich kenne ihn aus Militärzeiten schon ein wenig, ein sehr guter Typ und auch ein ruhiger und lustiger Mensch, ich freue mich sicher auf die Zusammenarbeit. Ich glaube, dass wir ein gutes Duo sind und auch eine gute Konkurrenz pflegen werden.»
Ähnlich positiv äussert sich Sportchef Duca über das künftige Goalie-Duo. «Wir haben in Gilles einen Torwart gesehen, der das Potenzial hat, die Nummer eins zu werden, gleichzeitig ist es unsere Strategie, über zwei starke Torhüter zu verfügen, die sich gegenseitig stimulieren und pushen.
Da haben wir uns für Philip Wüthrich entschieden, der ein interessanter Goalie in einem guten Alter ist und bereits gezeigt hat, dass er in einem Umfeld mit Druck bestehen kann. Wenn wir mit zwei Schweizer Torhütern starten, die das Potenzial für die Nati haben, machen wir das gerne.»
Für Gilles Senn passen die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Zukunft, nachdem die letzten Jahre nicht einfach waren. Dennoch würde er rückblickend nichts anders machen, sieht auch den Wechsel nach Nordamerika nicht als Fehler an.

«Es war mein grösster Traum, und ich konnte ihn erfüllen, war in diesem Zirkus dabei», sagt Senn, in dessen Statistik zwei NHL-Spiele für die New Jersey Devils stehen.
Er würde jedes Mal gleich entscheiden – natürlich in der Hoffnung, dass die Pandemie ausbleibt und nicht wie bei seinem Gastspiel so viel kaputt macht.
Die NHL ist nun aber weit weg, die National League der Alltag und die Zukunft. Auch da verfolgt Senn wie jeder Profi ambitionierte Ziele.
Oder wie er sagt: «Sicher ist das grösste Ziel immer einen Titel zu gewinnen, das habe ich, seit ich in der National League spiele und wird bis zu meiner letzten Saison so sein. Und ich will mit Ambrì den nächsten Schritt machen, damit wir jedes Jahr eine Playoff-Mannschaft sind. Und wenn wir in die Playoffs kommen, dann ist immer alles möglich…»
Über Gilles Senn
Geboren: 1. März 1996. Grösse: 195 cm. Gewicht: 99 kg. Vertrag: bis 2025.
Stationen: Bis 2011: Saastal, Visp (Nachwuchs). 2011 bis 2019: HC Davos (NL, Nachwuchs). 2019 bis 2021: New Jersey Devils (NHL), Binghamton Devils (AHL). 2021 bis 2024: HC Davos. Seit 2024: HC Ambrì-Piotta (NL).
Erfolge: Vizeweltmeister 2018 (ohne Einsatz). Spengler Cup-Sieger 2023 mit dem