Biden beschwört nach ersten 100 Tagen Neuanfang
«Amerika ist bereit zum Abheben»: Joe Biden will die USA als Präsident tiefgreifend verändern - und seine erste Ansprache vor dem US-Kongress nutzt er, um trotz Corona-Krise Optimismus zu verbreiten.
Das Wichtigste in Kürze
- In seiner ersten Ansprache als US-Präsident vor dem Kongress hat Joe Biden einen amerikanischen Neuanfang nach der Ära seines Vorgängers Donald Trump beschworen.
«Nach 100 Tagen der Rettung und Erneuerung ist Amerika bereit zum Abheben. Wir arbeiten wieder. Träumen wieder. Entdecken wieder. Führen die Welt wieder an», sagte Biden im US-Kapitol. Hoffnungsvoll äusserte sich der Demokrat mit Blick auf die Corona-Pandemie und warb für billionenschwere Pläne, mit denen er in den USA einen tiefgreifenden Wandel herbeiführen will.
An diesem Donnerstag ist Biden genau 100 Tage im Amt. Der 78 Jahre alte Demokrat hatte am 20. Januar den Republikaner Trump im Weissen Haus abgelöst. Seither prägt er einen ganz anderen Stil. Trotz der bisherigen Blockadehaltung der Republikaner stimmte Biden versöhnliche statt konfrontative Töne an. Die erste Rede eines neuen Präsidenten bei einer gemeinsamen Sitzung des Repräsentantenhauses und des Senats im US-Kapitol wird traditionell nicht als Rede zur Lage der Nation bezeichnet, die ansonsten jährlich erfolgt.
In diesem Jahr war einiges anders. Erstmals in der Geschichte der USA sassen bei diesem Anlass zwei Frauen hinter dem Präsidenten: Kamala Harris, die erste Vizepräsidentin des Landes, und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Zudem war Bidens Publikum wegen der Corona-Pandemie deutlich kleiner als in einem normalen Jahr. Die 200 statt üblicherweise 1600 Zuhörer sassen getrennt voneinander und mit Masken in den Rängen.
Biden forderte Abgeordnete beider Parteien auf, weitreichende Pläne seiner Regierung zu unterstützen. Ein von ihm vorgeschlagenes Infrastrukturpaket bezeichnete er als grössten Anschub für den Arbeitsmarkt seit dem Zweiten Weltkrieg. Das mehr als zwei Billionen US-Dollar (rund 1,7 Billionen Euro) umfassende Programm werde in den kommenden acht Jahren zudem massives Wachstum schaffen.
Weitreichend sind auch Bidens Pläne zur Unterstützung von Familien und zur Förderung der Bildung. Er will die schmalen Sozialleistungen deutlich ausweiten und die Kosten in Höhe von 1,8 Billionen US-Dollar über Steuererhöhungen stemmen. «Niemand sollte zwischen einem Job und einem Gehaltsscheck oder der Versorgung von sich selbst und eines geliebten Menschen - eines Elternteils, Ehepartners oder Kindes - wählen müssen», sagte der Präsident.
Die obersten Demokraten in Repräsentantenhaus und Senat, Nancy Pelosi und Chuck Schumer, lobten die Rede als einend, durchdacht und hoffnungsvoll. Sie äusserten sich wohlwollend zu Bidens gewaltigen Investitionsplänen. Schumer erklärte, die Demokraten wollten alles Erdenkliche tun, um die Vision des Präsidenten wahr zu machen.
Doch die USA sind innenpolitisch weiter tief gespalten. Bidens Vorschläge bedürfen der Zustimmung des Kongresses, wo die Demokraten nur eine hauchdünne Mehrheit halten. Der republikanische Senator Tim Scott warf Biden in einer Replik auf die Ansprache vor, dass seine Massnahmen das Land immer weiter auseinanderrissen und er dem Volk nicht mehr als «hohle Phrasen» biete. Einige Vorhaben könnten selbst bei einzelnen gemässigten Demokraten im Senat auf Ablehnung stossen.
Mit Blick auf die Corona-Pandemie zeigte sich Biden hoffnungsvoll: Er zog eine positive Zwischenbilanz und forderte die Amerikaner auf, sich impfen zu lassen. Es seien genügend Impfdosen verfügbar. «Die letzten 100 Tage in einer der schlimmsten Pandemien der Geschichte waren eine der grössten logistischen Errungenschaften, die dieses Land jemals gesehen hat.» Doch noch sei die Seuche nicht besiegt, die USA müssten wachsam bleiben.
Biden widmete sich auch anderen drängenden Problemen des Landes wie der «Epidemie der Waffengewalt» und strukturellem Rassismus, bei denen er die Parteien zur Zusammenarbeit aufrief. «Wir haben alle das Knie der Ungerechtigkeit auf dem Nacken des schwarzen Amerikas gesehen», sagte Biden in Anspielung auf die Tötung des Afroamerikaners George Floyd, der im vergangenen Jahr in der Stadt Minneapolis bei einer brutalen Festnahme starb. Ein mittlerweile verurteilter und weisser Polizist kniete damals minutenlang auf Floyds Hals. Biden sagte, nun gelte es, wahre Veränderung herbeizuführen.
Zwar stellte Biden die innenpolitische Agenda ins Zentrum der Rede, aber er ging auch auf Herausforderungen durch China, Russland, den Iran und Nordkorea ein. Chinas Präsidenten Xi Jinping rief er zur Einhaltung globaler Handelsregeln auf. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin warnte Biden inmitten zunehmender Spannungen vor einer weiteren Eskalation. Moskaus Handeln werde Konsequenzen haben.
Die «Krisen unserer Zeit» könne keine Nation allein bewältigen, sagte Biden. Als Beispiele nannte er Terrorismus, Cybersicherheit, den Klimawandel und Pandemien. Die USA seien zurück, um die Welt anzuführen - gemeinsam mit ihren Verbündeten.
Am Redepult rief Biden auch die dramatischen Bilder vom 6. Januar in Erinnerung, als Trump-Anhänger den Sitz des US-Kongresses gewaltsam gestürmt hatten. «Der Aufruhr war eine existenzielle Krise - ein Test, ob unsere Demokratie überleben kann.» Überlebt habe sie - nun gelte es aber, im Wettbewerb mit den Autokratien der Welt zu zeigen, dass die US-Demokratie noch immer funktioniere.