Der Meister der Porträts: US-Künstler Chuck Close wird 80
Mit überdimensionalen Porträts wurde Chuck Close weltberühmt; wie der zehn Jahre ältere Schweizer Künstler Franz Gertsch nimmt Close Bezug auf die Fotografie.
Mit überdimensionalen Porträts wurde Chuck Close weltberühmt; wie der zehn Jahre ältere Schweizer Künstler Franz Gertsch nimmt Close Bezug auf die Fotografie. Der US-Künstler ist gefeiert, erfolgreich, aber auch umstritten. Jetzt wird Close 80 Jahre alt - und malt trotz schwerer gesundheitlicher Probleme weiter.
Aus der Ferne sind die überdimensionalen Porträts von Chuck Close klar zu erkennen. Sie zeigen Gesichter von Künstlerkollegen, Freunden und Familienangehörigen - frontal, als kolossale Mosaiken in einem gitterförmigen Raster. Aus der Nähe aber verschwimmen sie zu psychedelisch anmutenden pixeligen Landschaftsmustern.
Mit diesen Bildern wurde Close zu einem Vertreter des amerikanischen Fotorealismus; als seine europäische Entsprechung wurde immer wieder der Schweizer Künstler Franz Gertsch betrachtet. Beide stellten 1972 an der von Harald Szeemann organisierten «documenta 5» aus. Trotz unterschiedlicher Verfahrensweisen gehen Close wie Gertsch von der fotografischen Vorlage aus und bearbeiten sie in der Malerei im Blow-up-Verfahren. Deshalb muten die Werke beider Künstler monumental an. Bei beiden spielt das Selbstporträt eine Rolle und beide wählten ihre Modelle im Freundeskreis aus.
Mehr als 200 Mal porträtierte Close so zum Beispiel seinen Freund, den US-Komponisten Philip Glass. Auch von seinem 2008 gestorbenen Maler-Kollegen Robert Rauschenberg gibt es viele solcher Bilder - bestehend aus Zehntausenden Rasterpunkten, an denen Close manchmal monatelang arbeitete. Immer häufiger aber nimmt der Maler, der am Sonntag (5. Juli) 80 Jahre alt wird, sich selbst als Motiv.
«Ich hatte schon immer mindestens ein Selbstporträt in jeder Ausstellung», sagte der Künstler jüngst der «New York Times». «Aber normalerweise nicht mehr als eins.» Dann habe er eine Ausstellung mit vielen Selbstporträts gemacht - und seitdem nur noch solche gemalt. «Ich denke, ich führe gerade eine Unterhaltung mit mir selbst. Vielleicht im Angesicht des Todes, oder was zur Hölle auch immer das ist.»
Close gehört zu den bekanntesten, erfolgreichsten und einflussreichsten zeitgenössischen Künstlern der USA. Die «New York Times» feierte ihn einmal als «Meister des modernen Porträts». Aber der Maler ist auch umstritten. 2017 warfen ihm zwei Frauen sexuelle Belästigung vor. Der Künstler habe ihnen gegenüber anzügliche Kommentare gemacht. Close entschuldigte sich. «Wenn ich jemals jemanden verlegen gemacht oder zu Unbehagen gebracht habe, tut es mir aufrichtig leid, das war nicht meine Absicht», sagte er der «New York Times». Seine Karriere aber konnte sich seitdem nicht wieder richtig erholen, mehrere geplante Ausstellungen wurden abgesagt.
Geboren wurde Charles Thomas Close 1940 in Monroe im US-Bundesstaat Washington. Sein Vater war Handwerker und starb, als der Junge elf Jahre alt war. Die Mutter musste Klavierunterricht geben, um die Familie zu ernähren. Aber schon als Kind hatten die Eltern Closes Talent erkannt und ihn auf eine Kunstschule geschickt. Er studierte er an der Kunst- und Architekturfakultät der Elite-Uni Yale. Zu seinen Lehrern dort gehörten Alex Katz und William Bailey. Nach einem Studienjahr in Wien liess er sich in New York nieder.
Seine Sujets und sein Medium suchte sich Close bewusst gegen den Strom der Kunstbewegung der Metropole Ende der 60er Jahre aus. «Wer malte, war ein Trottel. Und am allerdümmsten war es, Porträts zu machen. Da dachte ich: Na, wunderbar! Ich werde nicht viel Konkurrenz haben.» Für ihn sei die Malerei schon immer die magischste aller Künste gewesen: Mit Farbe und Dreck auf einer glatten Oberfläche könne man Erstaunliches erschaffen.
Auch bei der Technik lässt sich Close nicht einengen und experimentiert mit Spritzpistolen, kratzt Farbschichten mit dem Rasiermesser dünn oder benutzt den eigenen Daumen als Stempel - auch nach jenem Tag im Dezember 1988, als ein Blutgefäss platzte und ihn vom Hals abwärts lähmte. «Wer malen will, findet einen Weg, die Farbe auf die Leinwand zu bringen. Und wenn er sie draufspucken muss», sagte Close, der seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen ist, einmal.
In den vergangenen Jahren hat Close sein Leben noch einmal komplett umgekrempelt. «Ich kam zu dem Punkt, an dem ich mich so gefühlt habe, als sei es nicht mehr länger meine Kunstwelt. Es gibt nicht viel Interesse an Malerei», sagte er der «New York Times». Close trennte sich von seiner ersten Ehefrau Leslie Rose, mit der er zwei erwachsene Töchter hat, heiratete kurz darauf die Künstlerin Sienna Shields und trennte sich wieder. Statt in seinem Atelier im New Yorker Künstler-Viertel Soho oder seinem Anwesen in einem schicken Teil von Long Island, verbringt er nun viel Zeit in Miami Beach.
Eine Konstante bleibt aber das tägliche Malen. «Inspiration ist etwas für Amateure. Der Rest von uns macht sich jeden Tag aufs Neue an die Arbeit.»