Mysteriöse Krankheit sorgt in Kanada für Rätsel
In einer kanadischen Provinz leiden Dutzende an einer mysteriösen Nervenkrankheit. Diese wird mit dem Hummer-Fang in der Region in Verbindung gebracht.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Untersuchungsbericht zu einer mysteriösen Krankheit in Kanada stösst auf viel Kritik.
- Dieser führt die Symptome (auch bei 20-Jährigen) auf Demenz zurück.
- Viele sind der Meinung, die Nerven-Erkrankung hänge mit dem Essen von Hummern zusammen.
In der kanadischen Provinz New Brunswick (700'000 Einwohner) sorgt eine mysteriöse Nervenkrankheit für Beunruhigung: Seit 2018 erkrankten daran offiziell 48 Personen – die Dunkelziffer wird jedoch auf bis zu 200 geschätzt. Zehn Personen kostete die Krankheit bereits das Leben.
Die Erkrankung löst Muskelschwund, Demenz und Halluzinationen aus. Ein Untersuchungsbericht sollte bei der Frage nach dem Auslöser der Krankheit Licht ins Dunkle bringen. Doch dessen Ergebnis stösst auf jede Menge Kritik.
Die Autoren halten darin nämlich fest, dass es sich doch nicht um eine Nervenkrankheit handle. Stattdessen sollen die Betroffenen unter Alzheimer, Schizophrenie, Krebs oder Parkinson leiden.
Der medizinische Datenanalytiker Matt Betti konnte einen Blick auf die Untersuchungsunterlagen werfen. Dass die mysteriöse Krankheit trotz der darin vorliegenden Daten relativiert wird, erstaunt ihn.
Denn 91 Prozent der Erkrankten haben eine Gemeinsamkeit: Sie konsumierten vor Ausbruch der Krankheit Hummer. Viele Menschen in Brunswick leben vom Fang von den Schalentieren, in denen das Nervengift BMAA enthalten sein kann.
«Die Regierung nannte das eine unwichtige Nebensache. Das ist völlig unseriös», erklärt Betti gegenüber «Focus». «Wissenschaftlich betrachtet ist es ein Unding, solche Fakten als unbedeutend abzutun.»
Ausserdem wurden im Rahmen der Untersuchung lediglich die zwei Jahre vor dem Krankheitsausbruch analysiert. «Dabei kann es gut zehn Jahre dauern, bis sich neurologische Störungen im Gehirn zeigen», stellt Betti klar.
Was er ebenfalls verdächtig findet: Die Provinz habe weitere Bundesgelder zur Untersuchung der Krankheit angeboten bekommen – welche jedoch ausgeschlagen wurden. «Wer sagt schon ‹nein› zu mehr Geld? Das schreit doch förmlich nach Vertuschung», sagt Betti.
Neue Untersuchungen gefordert
Auch die Betroffenen sind unzufrieden damit, wie die Behörden die Krankheit aufarbeiten. Vor drei Jahren zeigten sich bei der jungen Kanadierin Gabrielle die ersten Symptome der mysteriösen Krankheit. Inzwischen hat sie die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben verloren – auch stehen und laufen kann sie kaum noch. Brisant: Gabrielle ist erst zwanzig Jahre alt.
Im Podcast-Network «Canadaland» macht Gabrielle ihrem Ärger Luft: «Die Behörden wollen das auf bekannte Krankheiten wie Alzheimer schieben. Aber 20-Jährige entwickeln doch keine Demenz!»
Jetzt fordert sie neue Untersuchungen, bei denen Umweltfaktoren miteinbezogen werden. Denn viele der Erkrankten sind jung und wirkten kerngesund, bevor sie plötzlich die seltsamen Symptome zeigten.
Neurologe glaubt an unbekannte Krankheit
Auch der Neurologe Alier Marrero ist davon überzeugt, dass mehr hinter der Krankheit steckt als Alzheimer und Co. «Wir haben immer mehr Fälle und immer mehr junge Patienten», sagt er gegenüber «Radio Canada».
Marrero war Teil des Gremiums, das die Krankheit untersuchte. Doch als diese in Verbindung mit dem Hummer-Fang gebracht wurde, kam die Aufarbeitung ins Stocken. «Uns wurde gesagt, wir sollten keine weiteren Fälle hinzufügen: keine neuen Statistiken oder Todesfälle erwähnen», so der Neurologe. Er stellt klar: «Ich glaube fest, dass es eine unbekannte Krankheit gibt.»