Rätsel um hunderte gestohlene Manuskripte von Star-Autoren offenbar gelöst
Sherlock Holmes wäre begeistert gewesen: Das Rätsel um hunderte gestohlene, unveröffentlichte Manuskripte namhafter Autoren steht offenbar vor seiner Lösung.
Das Wichtigste in Kürze
- 29-jähriger Italiener soll hinter jahrelangem Literatur-Betrug stehen .
Das FBI nahm in dem Kriminalfall in dieser Woche in New York den 29-jährigen italienischen Angestellten des Grossverlags Simon & Schuster, Filippo Bernardini, fest. Ihm wird vorgeworfen, sich per E-Mail als Literaturagent und Verleger ausgegeben zu haben, um unveröffentlichte Werke von Schriftstellern zu stehlen.
Der mutmassliche Betrug war in Literaturkreisen bereits seit etwa fünf Jahren bekannt. Zu den Zielen des Verdächtigen sollen Margaret Atwood, Ian McEwan und Sally Rooney gehören.
Bernardini wurde bereits am Donnerstag vor einem Gericht in Manhattan angeklagt, nachdem er am Vortag von FBI-Agenten am Flughafen festgenommen worden war. Er soll zwischen 2016 und 2021 Identitätsdiebstahl und Betrug unter Einsatz von Telekommunikationsmitteln begangen haben - Verbrechen, die mit 22 Jahren Gefängnis bestraft werden können.
«Filippo Bernardini soll sich als eine Person aus der Verlagsbranche ausgegeben haben, um Autoren, darunter einen Pulitzer-Preisträger, dazu zu bringen, ihm Manuskripte für eine Vorveröffentlichung zu seinem eigenen Vorteil zu schicken», sagte US-Staatsanwalt Damian Williams. Bernardini plädierte demnach auf «nicht schuldig» und wurde unter «Hausarrest» mit einer Kaution von 300.000 Dollar entlassen, sagte ein Gerichtssprecher.
Bernardini arbeitete in London für Simon & Schuster. Der Verlag erklärte, er sei «schockiert und entsetzt, von den Anschuldigungen zu erfahren». Der Mitarbeiter sei suspendiert worden bis weitere Informationen zu dem Fall vorliegen.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war der Modus Operandi des Verdächtigen wie folgt: Er gab sich in der Welt des Verlagswesens als echte Personen aus, indem er E-Mails von gefälschten Konten verschickte. Die Adressen wurden so gestaltet, dass sie den Domänennamen rechtmässiger Verlage ähnelten, wobei hier und da ein Buchstabe geändert wurde. In der Anklageschrift wird ihm vorgeworfen, mehr als 160 betrügerische Domains registriert zu haben.
Unklar bleibt jedoch das Motiv in diesem Kriminalfall. Denn überraschenderweise folgten auf die Diebstähle weder Geldforderungen noch tauchten die Werke anscheinend online oder im Dark Web auf. Im Jahr 2019 enthüllte Atwoods Agent, dass das Manuskript von ihrem Buch «Die Zeuginnen» Ziel des Täters geworden war.
Vergangenes Jahr berichtete das New York Magazine, dass die schwedischen Herausgeber von Stieg Larssons «Millennium»-Reihe von einem angeblichen Kollegen in Italien kontaktiert worden waren, der ein Vorab-Exemplar verlangte, um es vor der Veröffentlichung übersetzen zu lassen. Eine Untersuchung der New York Times Ende 2020 ergab, dass auch «Normale Menschen»-Autorin Rooney, «Abbitte»-Autor McEwan und der Schauspieler Ethan Hawke ins Visier genommen worden waren.