Ein Gespächsprotokoll und der Schrecken des Impeachments
Das Wichtigste in Kürze
- Üblicherweise ist vertraulich, was Regierungschefs bei Telefonaten zu bereden haben.
In der Ukraine-Affäre ist nun das Protokoll eines Gespräches zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj für alle Welt zu lesen - und das hat es in sich.
Trump ermuntert den Ukrainer darin mehrfach, Nachforschungen anzustellen, die seinem politischen Rivalen Joe Biden schaden könnten. Könnte die Angelegenheit Trump zum Verhängnis werden? Die Demokraten haben konkrete Schritte angestossen für ein mögliches Amtsenthebungsverfahren gegen den US-Präsidenten. Die Arena für den Kampf um ein Impeachment ist also eröffnet.
Es ist der 25. Juli 2019 um kurz nach 9 Uhr Ortszeit in Washington, als sich Trump mit Selenskyj am Telefon zusammenschaltet. Erst folgt der Austausch allerlei Nettigkeiten: Trump gratuliert Selenskyj zum Wahlsieg, der charmiert, er habe sich einiges bei Trump abgeschaut. Dann geht es über zu Lästereien über andere Regierungschefs, allen voran Angela Merkel. Die tue nichts für die Ukraine, sagt Trump. «Aber die Vereinigten Staaten sind sehr, sehr gut zur Ukraine.» Die Ukraine zählt zu den ärmsten Ländern in Europa und setzt vor allem auf US-Hilfe, um das geschwächte Militär des Landes zu stärken.
Auch Selenskyj beklagt sich über mangelnde Hilfe der Europäer und preist dagegen eifrig die Unterstützung der Amerikaner. Und dann wird es interessant. «Ich möchte Sie allerdings um einen Gefallen bitten», sagt Trump und ruft Selenskyj auf, er möge doch bitte Nachforschungen zu Querverbindungen der Russland-Affäre in die Ukraine anstellen. Und er hat noch ein Anliegen: «Es gibt viele Gerede über Bidens Sohn, dass Biden die Strafverfolgung gestoppt habe, und viele Leute wollen rausfinden, was es damit auf sich hat.» Er werde seinen persönlichen Anwalt Rudy Giuliani und Justizminister William Barr beauftragen, sich in der Sache bei Selenskyj zu melden, sagt Trump und schiebt nach, es wäre «toll», wenn er sich die Sache anschauen könne. Selenskyj - wieder eifrig - versichert, sich darum zu kümmern.
Worum geht es? Bidens Sohn hat früher Geschäfte in der Ukraine gemacht. Und Trump wirft Biden, dem derzeit aussichtsreichsten Präsidentschaftsbewerber der Demokraten, vor, die Ukraine in seiner Zeit als US-Vizepräsident unter Druck gesetzt zu haben, um Korruptionsermittlungen gegen seinen Sohn zu verhindern. Nun steht Trump im Verdacht, er habe seinen potenziellen Herausforderer für die Wahl 2020 mit Dreck bewerfen wollen und dafür sein Amt missbraucht.
US-Medien hatten berichten, Trump habe gegenüber Selenskyj zugesagte Militärhilfen für die Ukraine an die geforderten Biden-Ermittlungen geknüpft. Das geht aus dem Gesprächsprotokoll, das das Weisse Haus veröffentlicht hat, nicht hervor. Aber das Problem ist: Das fünfseitige Dokument ist eben nur das: ein Protokoll des Telefonats, auf Basis der Notizen von Anwesenden, nicht aber eine wörtliche Abschrift des Gespräches. Diese wichtige Einschränkung ist auf Seite 1 des Dokuments ausdrücklich vermerkt.
Es gibt also keinerlei Gewähr, dass das Gespräch vollständig wiedergegeben ist. Es ist ohnehin schwer, aus einem niedergeschriebenen Protokoll herauszulesen, ob sich ein Gesprächspartner durch dezente Verweise auf finanzielle Hilfen unter Druck gesetzt fühlt. Und es gibt keinerlei Gewähr, dass Trump mögliche Botschaften in diese Richtung nicht auf anderem Kanal überbracht haben könnte, in einem weiteren Telefonat oder über Mitarbeiter. Die Demokraten wollen deshalb Einblick in die Beschwerde des Geheimdienstmitarbeiters, der die Sache mit seinem Einwand bei einem internen Kontrollgremium überhaupt erst ins Rollen brachte. Und sie wollen den Whistleblower im Kongress befragen. Demokraten nennen das Gesprächsprotokoll entlarvend, schockierend, ja «Mafia-mässig».
Trump aber sieht sich durch die Veröffentlichung des Protokolls entlastet. «Es gab keinen Druck», sagt er in New York. «Es ist die grösste Hexenjagd in der amerikanischen Geschichte.»
Nancy Pelosi, die Frontfrau der Demokraten und Vorsitzende des Repräsentantenhauses, kündigte am Dienstag (Ortszeit) bei einem aufsehenerregenden Auftritt formale Ermittlungen im Kongress an, die zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten führen könnten. Ein historischer Moment, auf den viele in ihrer Partei gewartet haben. In der Geschichte der USA mussten sich zuvor nur drei Präsidenten einem solchen Verfahren stellen. Keiner wurde am Ende per Impeachment des Amtes enthoben.
Das Verfahren ist kompliziert und für die Demokraten riskant. Über viele Monate war Pelosi davor zurückgeschreckt und hatte dem Drängen aus den eigenen Reihen widerstanden. In den vergangenen Tagen schoss wegen der Ukraine-Vorwürfe aber die Zahl der demokratischen Abgeordneten rasant nach oben, die dafür plädierten, ein formales Amtsenthebungsverfahren anzustossen. Etwas, das einige Parteikollegen schon seit Monaten fordern - wegen der mutmasslichen Einflussversuche Moskaus auf die Präsidentschaftswahl 2016 und Trumps Rolle dabei. Nun also hat die Ukraine-Affäre die Russland-Affäre ersetzt.
Was genau geschieht jetzt? Zunächst werden die Demokraten in mehreren Kongressgremien Untersuchungen gegen Trump vorantreiben - ähnlich wie sie es schon seit Monaten tun. Nun aber hat das Vorgehen ein formales Gerüst und einen Namen. Das ominöse Wort mit I eben: Impeachment.
Einen Zeitplan gibt es nicht. Sollten die Demokraten bei den Untersuchungen im Kongress bestimmte «Anklagepunkte» gegen Trump finden, müsste am Ende das gesamte Repräsentantenhaus darüber abstimmen, um ein Amtsenthebungsverfahren anzustrengen. Nötig wäre dafür eine einfache Mehrheit: 218 von 435 Stimmen. 235 Sitze haben die Demokraten in der Kammer. Doch dies ist nur die erste Hürde.
Die Entscheidung über eine mögliche Amtsenthebung liegt am Ende im Senat, dem dann praktisch die Rolle des Gerichts zukommt. Was nun anläuft, ist etwa zu vergleichen mit Polizeiermittlungen, die womöglich zu einer Anklage führen - und am Ende zu einem Schuld- oder Freispruch vor Gericht. Im Senat aber, der entscheidenden Instanz, haben Trumps Republikaner die Mehrheit. Die Erfolgsaussichten des Verfahrens sind also gering. Und die Risiken für die Demokraten gross.
Würde der Senat noch vor der Präsidentschaftswahl im November 2020 abstimmen und würden die Republikaner eine Amtsenthebung dort mit ihren Stimmen abschmettern, dann wäre das für die Demokraten mitten im Wahlkampf eine herbe Niederlage. Trump könnte sich dagegen kurz vor der Wahl damit brüsten, dass der Kongress hochoffiziell seine Unschuld festgestellt habe. Sollten die Untersuchungen erst gar nicht zu einem Votum führen, könnte Trump ebenfalls triumphieren.
Wahrscheinlicher ist aber, dass sich das komplizierte Verfahren lange hinziehen wird, gar über den Wahltag hinaus. Damit dürfte der Wahlkampf vor allem von einem Schlagwort geprägt werden: Impeachment.
Trump könnte das entgegenkommen. Das Wettern gegen die Ermittlungen in der Russland-Affäre gehörte bei Wahlkampfauftritten zu seinen Lieblingsthemen. Nun hat er seine «Hexenjagd» zurück - inklusive der eigenen Opfer-Rolle und dem grossen Feindbild: die Demokraten. Trump und sein Umfeld jedenfalls spotten, die Demokraten schadeten sich mit dem Schritt selbst. «Sie werden die Wahl verlieren», meint Trump.
Womöglich hoffen die Demokraten, dass die Ukraine-Vorwürfe mehr verfangen als der Wust an Ergebnissen aus rund zwei Jahren Russland-Ermittlungen. Aber was macht das Ganze mit diesem Land, mit der amerikanischen Seele? Die Gesellschaft in den USA ist schon jetzt tief gespalten. Die glühenden Fans von Trump und seine Gegner stehen einander unversöhnlich gegenüber. Die Impeachment-Vorbereitungen dürften die Vereinigten Staaten nicht unbedingt einen. Im Gegenteil.