USA heizen Debatte um Patentschutz für Corona-Impfstoffe an

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Wie beschafft man genügend Corona-Impfstoff für die ganze Welt? Die USA wollen die Produktion weltweit ankurbeln und dafür Patente aussetzen. Damit haben sie eine weltweite Debatte angestossen.

Für den Kampf zur weltweiten Eindämmung der Pandemie unterstützt die US-Regierung die Aussetzung von Patenten für die Corona-Impfstoffe. Foto: Martha Asencio Rhine/Tampa Bay Times/AP/dpa
Für den Kampf zur weltweiten Eindämmung der Pandemie unterstützt die US-Regierung die Aussetzung von Patenten für die Corona-Impfstoffe. Foto: Martha Asencio Rhine/Tampa Bay Times/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • In der Corona-Pandemie hat sich die US-Regierung überraschend deutlich hinter die Forderungen ärmerer Länder und vieler Hilfsorganisationen gestellt.

Sie plädiert jetzt ebenfalls dafür, dass Pharmafirmen vorübergehend den Patentschutz auf ihre Corona-Impfstoffe verlieren.

Dann könnten Hersteller in aller Welt die Impfstoffe produzieren, ohne Lizenzgebühren an Platzhirsche wie Biontech/Pfizer und Moderna zahlen zu müssen - theoretisch zumindest.

Denn erstens müssten die 164 Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation (WTO) zustimmen, dass internationale Copyright-Bestimmungen ausser Kraft gesetzt werden. Und zweitens dürfte es ohne Unterstützung der Pharmafirmen kaum gelingen, die komplexen Rezepte der neuartigen Impfstoffe einfach nachzumachen. Die Pharmafirmen und -verbände laufen Sturm. Das «Wall Street Journal» spricht von einem «Diebstahl der Impfstoff-Patente».

Die USA stünden zwar hinter dem Schutz geistigen Eigentums, die Pandemie sei aber eine globale Krise, die ausserordentliche Schritte erfordere, sagte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai am Mittwoch. Das Ziel sei, «so viele sichere und wirksame Impfungen so schnell wie möglich zu so vielen Menschen wie möglich zu bringen». Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, sprach auf Twitter von einer «historischen Entscheidung». Damit könne der Ungleichheit bei der Verteilung der Impfstoffe begegnet werden.

Auch Russland, das bereits vier eigene Impfstoffe produziert hat, ist der Idee nicht abgeneigt. Sie verdiene Beachtung, sagte Staatspräsident Wladimir Putin der Agentur Interfax zufolge. «Leider hat sich der Kampf zwischen den verschiedenen Pharmaherstellern weltweit verschärft», meinte Putin. Es dürfe aber nicht um Gewinnmaximierung gehen.

WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala begrüsste den Vorstoss von Tai. «Ich begrüsse ihre Bereitschaft sehr, sich mit den Verfechtern eines Patentverzichts zusammenzusetzen», teilte Ngozi mit. Sie lobte Indien und Südafrika, die ihren Textvorschlag für die Patentaussetzung gerade überarbeiteten, damit hoffentlich eine schnelle Lösung gefunden werde. «Wir können nur gemeinsam einen pragmatischen Weg nach vorne finden», sagte Ngozi nach Angaben eines WTO-Sprechers.

Für die Pharmafirmen ist das ein Schlag. Deutsche Branchengrössen lehnen den Vorschlag ab. Niemand könne in weniger als sechs Monaten eine Produktion hochziehen, teilte der Verband Forschender Arzneimittelhersteller mit. «Und im nächsten Jahr werden die jetzigen Hersteller schon nach heutigem Planungsstand mehr Impfstoff-Dosen produzieren als die Weltbevölkerung benötigt», sagte Verbandspräsident Han Steutel.

Die deutschen Impfstoff-Hersteller Curevac und Biontech stehen dem Ansinnen Washingtons ebenfalls ablehnend gegenüber. «Der Herstellungsprozess von mRNA ist ein komplexer Prozess, der über mehr als ein Jahrzehnt entwickelt wurde», teilte Biontech in Mainz mit. Es brauche erfahrenes Personal und Rohmaterialien, die für die Verwendung freigegeben werden müssten. Wenn eine der Anforderungen nicht erfüllt sei, könnten Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs weder vom Hersteller noch vom Entwickler gewährleistet werden. «Dies könnte die Gesundheit der Geimpften gefährden.»

Ein Sprecher des Tübinger Biotech-Unternehmens Curevac sagte, Patente seien nicht das entscheidende Kriterium bei der Bereitstellung grösstmöglicher Impfstoffmengen. Vielmehr sehe man den generellen Druck auf die Lieferketten als grösste Herausforderung. Dieser ergebe sich aus dem hohen Bedarf an Ausgangsmaterialien und Geräten zur selben Zeit und in hohen Mengen.

Die Pharmaindustrie argumentiert, dass sie auf eigenes Risiko Millionen in die Forschung investiere. Die allermeisten Projekte versandeten irgendwann. Wenn aber einmal ein erfolgreiches Mittel dabei herauskomme, müsse das Unternehmen auch Rendite machen können, um die Investitionen wieder hereinzuholen und Aktionäre zu belohnen.

Der Verband der US-Pharmaunternehmen (PhRMA) warnte, dass es ohne Patente zur Verbreitung gepanschter Impfungen kommen könne. Und der Verband der US-Biotech-Industrie (Bio) sah die Gefahr, dass andere Länder die USA mit ihrer heute führenden Rolle in der Biotechnologie abhängen könnten.

Der Weltärztebund forderte die Hersteller auf, Patente eigenständig freizugeben. «Die Pharmaindustrie könnte jetzt die ganze Menschheit voranbringen, wenn sie freiwillig auf die Ausübung ihrer Patentrechte für die Impfstoffe verzichtet», sagte der Vorsitzende Frank Ulrich Montgomery den Zeitungen der Funke Mediengruppe. «Freiwilligkeit wäre auch der Schlüssel zur Vermeidung drastischerer Massnahmen durch Regierungen und Welthandelsorganisation.»

Eine Sprecherin von Pfizer sagte der «New York Times», der Impfstoff habe 280 Komponenten von 86 Zulieferern aus 19 Ländern. Um das zu verarbeiten, seien komplexe Spezialanlagen und ausgebildetes Personal notwendig. In die gleiche Kerbe schlug auch der Generaldirektor des Pharmaverbandes IMFPA, Thomas Cueni. «Selbst, wenn die Patente ausgesetzt würden, würde in dieser Pandemie keine einzige zusätzliche Dosis die Menschen erreichen.»

Es gibt aber eine ganze Reihe von Herstellern, die sich das zutrauen. Die Weltgesundheitsorganisation hat bereits eine Plattform für den Technologietransfer speziell für die neuartigen mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna aufgeschaltet. Dort haben sich schon 50 Interessenten gemeldet, wie der verantwortliche Leiter bestätigt. Bei den meisten handele es sich aber um Firmen, die um Technologietransfer bitten, oder um Einrichtungen, die sich als Trainingszentren bewerben - nur wenige hätten Interesse ausgedrückt, Wissen zu teilen.

Problematisch sind nach Darstellung der Pharmafirmen vielmehr Engpässe bei den Rohstoffen und dem Material. Die Denkfabrik Chatham House zeigte dies im März auf: Es fehlten Glasfläschchen, Bioreaktorbeutel für Zellkulturen, fötales Kälberserum als Medium für Zellkulturen und Nanopartikel, in die manche Impfstoffe eingelagert werden müssen. Warum? Weil die Industrie bis Ende 2021 rund 14 Milliarden Impfdosen in Aussicht gestellt hat, drei bis vier Mal so viel Impfstoff, wie bislang pro Jahr hergestellt wurde.

Die Pharmafirmen, die die Technologie haben, wehren sich seit Monaten in der WTO gegen den Vorschlag Indiens und Südafrikas, den Patentschutz für Corona-Mittel vorübergehend auszusetzen. In der WTO ist das entscheidende TRIPS-Abkommen über den Schutz geistigen Eigentums hinterlegt, dort müssten alle 164 Mitgliedsländer zustimmen, bestimmte Passagen auszusetzen.

Dass Pharmafirmen für ihre Forschungsanstrengungen belohnt werden müssten, lässt Kate Elder, Impfstoff-Expertin bei der Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen», nicht gelten. Biontech/Pfizer, Moderna und andere hätten Milliarden aus Steuergeldern bekommen, um die Forschung an Corona-Impfstoffen voranzutreiben. «Die Früchte von daraus resultierender Forschung müssen mit kompetenten Herstellern geteilt werden», fordert sie. «Öffentliche Gelder dürfen nicht umsonst sein.»

Die EU, die in der WTO für alle Mitgliedsländer verhandelt, zeigte sich nach dem US-Vorstoss auch kulanter als vorher: «Die Europäische Union ist bereit, jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und pragmatisch angeht», sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen - mit einem Seitenhieb auf die USA, die die US-Impfstoffproduktion zuerst gänzlich für die eigene Bevölkerung behielten: Länder mit eigener Produktion müssten auch exportieren, so von der Leyen. «Europa ist die einzige demokratische Region der Welt, die Exporte im grossen Massstab erlaubt.» Es seien schon mehr als 200 Millionen Impfdosen in den Rest der Welt geliefert worden, fast so viele, wie in der EU verabreicht worden seien. Die EU sei quasi die Apotheke der Welt.

Eine Sprecherin der Bundesregierung sagte der «Süddeutschen Zeitung» dazu: «Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben.» Der limitierende Faktor bei der Herstellung von Impfstoffen seien die Produktionskapazitäten und die hohen Qualitätsstandards, nicht die Patente an sich. Die Bundesregierung arbeite in vielerlei Hinsicht daran, «wie wir innerhalb Deutschlands und innerhalb der Europäischen Union, aber auch weltweit die Kapazitäten für die Produktion verbessern können und dies tun auch die betroffenen Unternehmen».

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sagte dem «Spiegel»: «Nur ein Patent freizugeben, sorgt noch für keine einzige zusätzliche Impfdose. (...)Das Patent allein reicht nicht. Man muss auch wissen, wie produziert werden soll.» Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) blieb eher vage. «Die ganze Welt mit Impfstoff zu versorgen, ist der einzig nachhaltige Weg aus dieser Pandemie», sagte er. Entscheidend seien vor allem der weitere Ausbau von Produktionsstätten und mehr Exporte aus Ländern, in denen produziert werde. Offener für eine Aufweichung des Patentschutzes zeigte sich Aussenminister Heiko Maas (SPD): «Wenn das ein Weg ist, der dazu beitragen kann, dass mehr Menschen schneller mit Impfstoffen versorgt werden, dann ist das eine Frage, der wir uns stellen müssen», sagte er.

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