Chinesische Städte wegen Virus abgeriegelt
Das Wichtigste in Kürze
- Im Kampf gegen die neue Lungenkrankheit in China stehen vor dem chinesischen Neujahrsfest rund 20 Millionen Menschen praktisch unter Quarantäne.
Die Behörden haben die 11-Millionen-Metropole Wuhan, in der die meisten Fälle aufgetreten sind, am Donnerstag abgeriegelt.
Weitere grosse Städte sind ebenfalls von starken Einschränkungen betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sah am Donnerstagabend keinen Grund, eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite auszurufen. «Es ist nicht der richtige Zeitpunkt», sagte der Vorsitzende des Notfallsausschusses, Didier Houssin. Er verwies darauf, dass es im Ausland bislang nur wenig Fälle gebe, und dass China bereits selbst weitreichende Vorkehrungen getroffen habe.
WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte, China habe diejenigen Massnahmen getroffen, die es für angemessen halte. «Wir hoffen, dass sie effektiv und von kurzer Dauer sind», sagte er. Die WHO empfehle keinerlei Reise- oder Handelsbeschränkungen. Das Auswärtige Amt in Berlin riet aber dazu, nicht notwendige Reisen in die betroffenen Gebiete zu verschieben. Das Risiko für deutsche Reisende in Wuhan werde als «moderat» eingeschätzt.
Die WHO nehme den Ausbruch extrem ernst, sagte WHO-Chef Tedros.
In China gibt es bislang 644 bestätigte Fälle, berichtete die chinesische Zeitung «Global Times» am Donnerstagabend. Die Zahl der Todesfälle sei von 17 auf 18 gestiegen. Ein Patient starb demnach am Mittwoch in der nördlichen Provinz Hebei. Es sei der erste Todesfall ausserhalb der Provinz Hubei, in der Wuhan liegt. Die meisten Todesopfer waren ältere Menschen mit Vorerkrankungen.
In einzelnen Fällen wurde das Virus auch schon bei Patienten in anderen Ländern wie Thailand und den USA nachgewiesen. Am Donnerstag wurde der erste nachgewiesene Fall in Singapur bekannt. In Europa ist bisher kein Fall bekannt. Eingeschleppte Einzelfälle der neuen Lungenkrankheit sind deutschen Infektionsspezialisten zufolge aber auch hierzulande «wahrscheinlich». Grund zur Besorgnis gebe es aber nicht, teilte die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie mit. Kliniken bereiteten sich aktuell vor, um auf diese Fälle schnell reagieren zu können.
Die Ausfallstrassen wurden nach und nach gesperrt. Die Menschen wurden angewiesen, in der Öffentlichkeit Schutzmasken zu tragen - bei Nichteinhaltung drohen Strafen. Rasch waren Strassen, Märkte und Einkaufszentren wie leer gefegt. Etliche Besucher konnten die Stadt vorerst nicht mehr verlassen.
Auch in der 75 Kilometer weiter östlich gelegenen 7-Millionen-Stadt Huanggang sollte der öffentliche Verkehr gestoppt werden. Menschen sollen die Stadt nicht mehr verlassen, wie die Stadtregierung mitteilte. Ähnliche Restriktionen gelten für die benachbarte Stadt Ezhou mit einer Million und für die Stadt Chibi mit einer halben Million Einwohnern. Auch in Xiantao mit mehr als einer Million Einwohner ist der öffentliche Verkehr mit Bussen, Fähren und Bahnen in andere Orte ausgesetzt worden. Alle Städte liegen in der Provinz Hubei.
Die Abschottung ist eine beispiellose Massnahme. «Das ist einmalig in der neueren Geschichte, sagte Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM). Auch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist nach Angaben eines Sprechers kein vergleichbarer Fall bekannt.
Der Notfallausschuss der WHO empfahl China, Reisende bei der Ausreise aus der Region weiter auf Krankheitssymptome zu untersuchen, sämtliche Informationen über die Entwicklung des Ausbruchs publik zu machen und die Gründe für alle Massnahmen genau zu erklären. Ländern, in denen schon Fälle auftauchten, empfahl der Ausschuss, die Kontakte von Infizierten zu überwachen und nach Infektionsanzeichen Ausschau zu halten. Alle Länder der Welt sollten sich darauf einstellen, dass Fälle auftauchen könnten, sagte der Ausschussvorsitzende Houssin.
Mit der Reisewelle zum chinesischen Neujahrsfest am kommenden Samstag wächst die Gefahr einer Ausbreitung der Viruskrankheit. In Peking wurden aus Angst vor dem Virus alle grösseren Veranstaltungen und Tempelfeste anlässlich des Neujahrsfestes gestrichen. Zudem wird der Kaiserpalast in Peking von Samstag an für Besucher geschlossen.
Das Coronavirus ist nach Einschätzung von Experten weiter ein kaum ansteckender Erreger. Die meisten Fälle beträfen nach wie vor Wuhan, das Virus habe sich nicht sehr stark ausgebreitet, sagte der Hamburger Virologe Schmidt-Chanasit. Zudem habe sich kaum Krankenhauspersonal angesteckt, und auch bei den Fällen in anderen Ländern habe es bisher keine Übertragung auf weitere Menschen gegeben. «Vielfach geht das Virus höchstens auf einen weiteren Menschen über, dann läuft sich die Infektion tot», sagte er.
Auch nach WHO-Informationen haben sich Menschen bislang nur bei engem Kontakt mit Infizierten angesteckt, in der Familie oder in Praxen und Gesundheitszentren. Das Virus sei zudem bislang stabil und es seien keine Mutationen beobachtet worden, sagte Michael Ryan, Direktor des WHO-Notfallprogramms. Coronaviren gelten als sehr anpassungsfähig und wandelbar - Veränderungen im Erbgut könnten das neue Virus gefährlicher und ansteckender machen.
Die Entwicklung eines Impfstoffes wird nach Einschätzung der globalen Impfallianz Gavi mindestens ein Jahr dauern. Bislang gebe es keine effektive Behandlungsmöglichkeit von Infizierten, sagte Ryan vom WHO-Notfallprogramms. Den Menschen könne im Krankenhaus mit Atemhilfen und der Überwachung der Organfunktionen geholfen werden.