Eindrücke nach Dammbruch und Schlammlawine in Brasilien
Das Wichtigste in Kürze
- Auch zwei Wochen nach der Schlammlawine in Brasilien werden täglich Tote geborgen.
- Fotograf Diego Baravelli hat für fünf Tage einen Helfertrupp begleitet.
- Das Ambiente gleiche einer Beerdigungszeremonie, schildert er.
Über zwei Wochen ist es her, seit eine Schlammlawine bei der brasilianischen Stadt Brumadinho mehrere Siedlungen niedergewalzt hat. Ausgelöst wurde das Unglück durch einen gebrochenen Damm des Bergbaukonzerns Vale.
Der freischaffende Fotograf Diego Baravelli (37) war für fünf Tage an der Unglücksstelle. Die Lage in der Kleinstadt nördlich von Rio de Janeiro sei nach wie vor schwierig, schildert er.
Auch nach zwei Wochen bergen Hilfskräfte weiterhin täglich weitere Tote. Viel Menschen werden noch immer vermisst. Baravelli hat in der Woche nach dem Unfall eine Gruppe von freiwilligen Feuerwehrleuten begleitet. Seine Eindrücke aus Brumadinho schildert er gegenüber Nau.
Nau.ch: Welche Situation fanden Sie an der Unglücksstelle in Brumadinho vor?
Diego Baravelli: Das ist schwierig zu definieren, weil es nicht nur eine Situation gibt, sondern ganz viele. Es herrscht ein Klima von Chaos, es fehlen Informationen. Viele Gerüchte kommen auf. All das kommt in einem Ambiente zusammen, das einer Beerdigungszeremonie gleicht.
Nau.ch: Gibt es genügend Unterstützung von offizieller Seite?
Diego Baravelli: Ja, sogar mitten im grössten Chaos haben die Regierung und ihre Hilfskräfte funktioniert. Was auffiel, war die Abwesenheit von Repräsentanten vom Unternehmen Vale. Die für das Verbrechen Verantwortlichen fahren in inoffiziellen Autos herum, Funktionäre tragen keine Uniformen. Ich weiss nicht, ob das aus Angst vor der Bevölkerung geschieht oder aus Gleichgültigkeit.
Nau.ch: Wie war Ihre Erfahrung als Fotograf? Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Diego Baravelli: Ich glaube, so ein Erlebnis geht über alles hinweg. Es ist eine humanitäre Erfahrung. Ich glaube, es ist unmöglich, nicht anders zurückzukommen, als man hingegangen ist. Man fühlt Nächstenliebe, Hoffnung – alles ganz nah und vermischt mit Gefühlen von Empörung und der Suche nach Gerechtigkeit. Eine gefährliche Mischung eigentlich.
Nau.ch: Gefährliche Mischung?
Viele Personen in der Region, die etwa Unterkünfte besitzen und davon profitieren könnten, dass nun viele Freiwillige und Journalisten vor Ort sind, öffnen ihnen ihre Häuser und verlangen kein Geld dafür. Personen, die selbst betroffen sind, helfen anderen Betroffenen. Gleichzeitig fahren quasi 24 Stunden lang mit Erz beladene Züge durch die Stadt. Das Unternehmen Vale hat seine Aktivitäten nicht unterbrochen. Dies war für mich am Eindrücklichsten. Auf der einen Seiten die Hilfsbedürftigen, die sich gegenseitig helfen. Auf der anderen Seite die Gier eines Unternehmens.
*Ayse Turcan lebt seit Anfang 2018 in Brasilien. Sie schreibt einmal pro Woche für Nau über Themen, welche die brasilianische Bevölkerung beschäftigen.
Mehr Fotos vom Unglück und von Diego Baravelli finden Sie hier.