Folgt nach dem Tod von Hamas-Vize eine neue Eskalation im Krieg?
Ein ranghohes Mitglied der Hamas wurde in Beirut getötet, die Hisbollah will sich für den Angriff rächen. Die Eskalation könnte aber ausbleiben, so ein Experte.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein ranghoher Offizier der Hamas ist im Libanon getötet worden.
- Die Hisbollah will sich für den Angriff auf ihr Territorium an Israel rächen.
- Sie werde wohl ein Zeichen setzen, aber nicht das direkte Gefecht suchen.
- Das sagt Reinhard Schulze, Nahost-Experte der Universität Bern.
Ein Hamas-Führer ist am Dienstagabend in Beirut, Libanon, bei einer Explosion ums Leben gekommen: Saleh al-Aruri starb in einem Stadtteil, in welchem die Hisbollah stark vertreten ist. Mit ihm sind fünf weitere Personen gestorben. Diese Informationen hat die Deutsche Presse-Agentur aus Hisbollah- und Polizei-Kreisen erfahren.
Die islamische Miliz Hisbollah will sich bei den Tätern rächen, wie sie am selben Abend kommunizierte. Für sie und die Hamas ist Israel verantwortlich, doch die israelischen Streitkräfte weisen diesen Vorwurf von sich. Aber Israels Vertreter bei der Uno hat öffentlich den israelischen Geheimdiensten und der israelischen Armee für den Tod al-Aruris gratuliert.
Steckt also Israel hinter der Tötung? «Es wäre schon eine Überraschung, wenn sich ein anderer Akteur als Israel zu erkennen gäbe», sagt Reinhard Schulze. Der 70-Jährige ist emeritierter Islamwissenschaft-Professor an der Universität Bern und Nahost-Experte.
Nicht ausgeschlossen seien aber auch Anti-Hamas-Kräfte im Libanon, welche die Vertreter der Organisation «aus dem Land jagen wollen». Schulze bezweifelt jedoch, dass diese Kräfte über die Mittel für einen solchen Angriff verfügen. Möglich wäre also eher eine Kollaboration von israelischen Kräften mit lokalen Informanten.
Saleh al-Aruri war «die wichtigste Figur in den Schattenverhandlungen um die Geiseln in Gaza», so Schulze. Mit seinem Tod seien die Verhandlungen zwischen der Hamas und Israel auf Eis gelegt: «Für die Geiseln wird die Lage sicherlich schwieriger.»
Eskalation durch Hisbollah noch unwahrscheinlich
«Angriffe auf Führungspersonen von Hamas und Islamischem Dschihad waren erwartet worden», ordnet Reinhard Schulze den Angriff ein. Am Weihnachtstag wurde ein ebenfalls hoher Offizier der Iranischen Revolutionsgarde in Syrien gezielt getötet, so Schulze. «Damals hielt sich Hisbollah zurück, obwohl die Bindungen zu den Revolutionsgarden erheblich enger sind als zu Hamas.» Aber spätestens dann sei klargeworden, dass weitere Angriffe folgen würden.
Jetzt noch weigere sich die Miliz anscheinend, offen auf Konfrontation mit den israelischen Verteidigungskräften zu gehen. Denn als Reaktion würde Israel den ganzen Südlibanon bis zum Litani-Fluss besetzen , sagt Schulze.
«Hisbollah wird allerdings ein Zeichen setzen wollen», fügt der Professor hinzu. Schliesslich sehe sie ihre Souveränität durch den Angriff verletzt. «Weniger anzunehmen ist, dass Hisbollah für Hamas ‹Vergeltung› üben wird», erklärt er.
Und doch sei nicht sicher, ob Hisbollah «noch die bislang gepflegte punktuelle Eskalation» beherrschen könne: Im Libanon werde befürchtet, dass dort aktive, militärische Hamas-Fraktionen den Konflikt mit israelischen Verteidigungskräften an der Grenze suchen würden.
Sollte der Konflikt tatsächlich eskalieren, indem Hisbollah Angriffe auf Israel starten würde, wäre die Bedrohung für das Land «massiv». Die Zivilbevölkerung in Nordisrael bis im Süden der Hafenstadt Haifa wäre laut Schulze betroffen: «Die Hisbollah-Raketen Khaibar-1 haben eine Reichweite bis 75 Kilometer.» Mehrere Zehntausend dieser Geschosse seien im Besitz der Hisbollah.
Um grossen Schaden zu verhindern, müsste die israelische Armee eine Vielzahl an mobilen Abschussrampen in Südlibanon zerstören, sagt Schulze: «Das dürfte nur im Rahmen einer Bodenoffensive möglich sein.»