Hisbollah: Wie stark ist die Miliz in der Bevölkerung verankert?
Die explodierenden Pager lassen den Nahostkonflikt weiter eskalieren. Die Hisbollah sinnt auf Rache. Wie steht die libanesische Bevölkerung dazu?
Das Wichtigste in Kürze
- Nach dem Pager-Angriff auf Hisbollah-Kämpfer schwört deren Chef Hassan Nasrallah Rache.
- Doch wie stark ist die Verbundenheit der libanesischen Bevölkerung mit der Hisbollah?
- Zwei Islamwissenschaftler ordnen ein.
Nachdem Israel mutmasslich hinter dem Pager-Angriff auf Kämpfer der Hisbollah im Libanon steckt, reagiert deren Chef Hassan Nasrallah mit Drohungen.
Heute Freitagnachmittag wurden Raketen aus dem Libanon auf Israel abgefeuert. Die libanesische Hisbollah-Miliz, die Israel das Existenzrecht abspricht, reklamierte mehrere Angriffe für sich.
Israel wiederum reagierte mit einem Luftangriff auf die libanesische Haupstadt Beirut. Dabei wurde Berichten zufolge der Chef einer Elite-Einheit der Hisbollah getötet.
Nun stellt sich die Frage: Wie stark steht die libanesische Bevölkerung hinter der Miliz?
Libanesische Bevölkerung geht auf Distanz zur Hisbollah
Dies sei schwer zu sagen, meint der emeritierte Islamwissenschaftsprofessor der Universität Bern, Reinhard Schulze. «Es gibt keine Meinungsumfragen, die Aufschluss darüber geben, wie die libanesische Bevölkerung zu den Cyberangriffen steht.»
Was sich in den Medien widerspiegle, lasse jedoch vermuten, dass die libanesische Gesellschaft eher auf Distanz zur Hisbollah gehe.
«Allerdings hat die Hisbollah-Miliz in den letzten drei Jahren auch in sunnitischen und christlichen Kreisen etwas an Zustimmung gewonnen.»
Dennoch würden Umfragen zufolge zwei Drittel der Sunniten und Christen der Miliz kritisch gegenüber stehen. «Es wäre also weit übertrieben zu behaupten, dass die libanesische Bevölkerung mehrheitlich hinter der Hisbollah steht.»
Solidarität mit Opfern dürfte überwiegen
Grob geschätzt könne sich die Hisbollah auf etwa ein Fünftel bis ein Sechstel der libanesischen Gesellschaft stützen. Die Machtbasis der Miliz werde durch Verbündete in der libanesischen Gesellschaft erweitert, so Schulze.
«Aufgrund von Meinungsäusserungen in Beirut kann jedoch vermutet werden, dass die Solidarität mit den Opfern und die Wut überwiegt.» Diese richte sich nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen die Hisbollah-Miliz.
Es werde von der libanesischen Bevölkerung vermutet, dass die Miliz die libanesische Gesellschaft für ihre Zwecke in Geiselhaft genommen habe. «Hinzu kommt, dass sie in weiten Teilen der libanesischen Gesellschaft für die Korruption im Staat verantwortlich gemacht wird.»
Libanesische Schiiten stützen Hisbollah
Der Libanon sei ein religiös sehr vielfältiges Land, erklärt Marta Domínguez Díaz, Islamforscherin an der Universität St. Gallen.
Darum habe man sich bei der Gestaltung des politischen Systems Mitte des 20. Jahrhunderts «um eine ausgewogene Verteilung der Macht an die verschiedenen Gruppen» bemüht.
«Dies hat zur Folge, dass die Parteien dazu neigen, sich an den konfessionellen Grenzen zu orientieren», so Domínguez Díaz weiter. Dementsprechend sei es nicht verwunderlich, dass die meisten Anhänger der Hisbollah – einer schiitischen Miliz – Schiiten seien.
«Es wird angenommen, dass der Prozentsatz der libanesischen Schiiten, die die Hisbollah unterstützen, bei etwa 85 Prozent liegt. Dieser Prozentsatz ist vor und nach dem 7. Oktober gleich geblieben.»
Hisbollah wird breiter unterstützt
Domínguez Díaz meint weiter, dass sich seit dem 7. Oktober etwas verändert habe: Die anschliessende Eskalation der Gewalt habe zu einer breiteren Unterstützung der Hisbollah geführt.
Konkret meint die Islamforscherin: «Ein Teil der Libanesen, die keiner schiitischen Konfession angehören, unterstützen die Hisbollah-Miliz zunehmend. Da diese Veränderungen neu und beispiellos sind, wird angenommen, dass sie mit der jüngsten Eskalation des Konflikts zusammenhängen.»
Angesichts der Ereignisse im Zusammenhang mit der Pager-Explosion sei zu erwarten, dass die Unterstützung für die Gruppe zunehmen werde. Dies, weil «der jüngste Anstieg der Unterstützung in direktem Zusammenhang mit der Angst vor einem israelischen Angriff zu stehen scheint».
Hisbollah-Unterstützung bleibt trotz Zunahme begrenzt
Trotz dieses Popularitätsanstiegs zeige eine Umfrage, dass die Unterstützung für die Gruppe im Libanon insgesamt begrenzt bleibt: Nur 30 Prozent der Menschen scheinen der Hisbollah zu vertrauen. 55 Prozent gaben an, überhaupt kein Vertrauen in die Gruppe zu haben.
«Das Vertrauen variiert erheblich zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen», sagt die Expertin. Nur neun Prozent der Sunniten, neun Prozent der Drusen und sechs Prozent der Christen scheinen der Hisbollah zu vertrauen.
«Die Behauptung, dass nicht-schiitische Libanesen die Gruppe unterstützen, ist also mit Vorsicht zu geniessen.» Die Zahl der Menschen in nicht-schiitischen Konfessionen, die die Gruppe unterstützen, bleibe sehr gering.