Für viele Schweizer ist Japan eine Traumdestination. Laut Experten haben Touristen und Expats aber oft ein einseitiges Bild des Landes.
Shibuya Tokyo Nacht Japan
Japans berühmteste Kreuzung in Shibuya bei Nacht. (Symbolbild) - Depositphotos

Japan fährt eine restriktive Einbürgerungspolitik. Auch die gesellschaftlichen Regeln sind strikt und für Menschen aus dem Westen oft ungewohnt.

Man isst beispielsweise nicht auf offener Strasse, entsorgt Müll bei sich zu Hause und schweigt im öffentlichen Verkehr. «Alles andere gilt als Affront», sagt Japan-Experte David Chiavacci im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. Menschen, die von der Norm abweichen, ernteten böse Blicke – insbesondere, wenn sie als Ausländer erkennbar seien.

«Viele Japaner sind gegenüber Fremden misstrauisch», sagt auch der Zürcher Andreas Strahm, dessen Mutter Japanerin ist. Neben Ausländern, auf Japanisch «Gaijin» genannt, blieben in der U-Bahn etwa oft Sitze leer, selbst zu Stosszeiten, weil die lokale Bevölkerung den Kontakt zu ihnen meide. Auch als Mieter würden sie oft abgewiesen. Mittlerweile gibt es Internetforen, die explizit Expats bei der Wohnungssuche unterstützen.

Dennoch hielten die meisten Ausländer an ihrer Traumvorstellung fest. «Viele merken die täglichen Zurückweisungen nicht, weil sie subtil sind», sagt Strahm. Denn Japaner blieben jederzeit höflich und verpackten ihre Aussagen so, dass man negative Gefühle meist nicht wahrnehme. Privat redeten sie aber oft abwertend über Nicht-Einheimische.

Traditionelle Kneipen für Touristen nicht sehr zugänglich

Die Trennung zu den Einheimischen spürte auch Matteo Tittone aus Solothurn, der als Tourist nach Japan reiste. «Abends trifft sich die ausländische Gemeinde immer an denselben Orten.»

Die traditionellen Isakayas, also die Kneipen, in denen die Japaner nach der Arbeit zusammenkommen, seien für Touristen nicht sehr zugänglich. Einige Bars in Tokio hätten zwar Schilder mit «Foreigners Welcome» oder «English Menu available», vielerorts heisse es aber «Members Only». Das bedeute: Zutritt nur für Landsleute. Auch die Bereitschaft, Englisch zu sprechen, sei im Vergleich zu anderen Ländern in der Region sehr tief.

Auch nach einem längeren Aufenthalt ist es schwierig, sich in Japan heimisch zu fühlen, wie Jean Kesselring sagt, der jüngst von einem achtmonatigen Auslandsaufenthalt in Tokio zurückkehrte. Obwohl er etwas Japanisch lernte, wurde er manchmal in Restaurants scheinbar grundlos abgewiesen. «Kein Platz», hiess es dann, obwohl viele Tische frei gewesen seien.

In acht Monaten habe er solche Situationen allerdings nur rund fünfmal erlebt. An weniger touristischen Orten seien die Menschen zudem viel zugänglicher gewesen und hätten ihn oft zu sich nach Hause eingeladen.

Fortschreitende Überalterung und tiefe Geburtenrate

Strahm, Tittone und Kesselring heben auf der anderen Seite die Chancen der Anonymität hervor, wie sie nur in Grossstädten möglich ist. Im Menschenfluss der Rushhour werde man in Tokio auf Plattformen gespült und habe dennoch ein Gefühl von Privatsphäre, sagt Kesselring.

«Japaner haben nicht das Bedürfnis, aus der Menge herauszustechen, sondern sehen sich als Teil des Ganzen.» Die klaren Verhaltensregeln seien für ihn nicht einengend, sondern befreiend gewesen, sagt Kesselring.

Gerne ging er auch alleine essen. «Das Restaurant ist einfach ein Ort zum Essen – kein sozialer Treffpunkt», sagt Kesselring. Oft gebe es keinerlei Kontakt zu anderen Menschen – sogar das Bestellen sei automatisiert. «Es ist völlig ungezwungen.» Der Computer-Linguistik-Student hat bereits die nächste Reise nach Japan gebucht und könnte sich vorstellen, auch länger einmal dort zu leben.

Japanologie-Professor Chiavacci sieht im Tourismus derweil auch eine Chance für eine Lockerung der japanischen Gesellschaft: «Die Migrationspolitik wird milder, weil im Tourismus und in der Gastronomie zunehmend Arbeitskräfte fehlen.» Diese Entwicklung werde auch getrieben durch die fortschreitende Überalterung und die tiefe Geburtenrate in Japan.

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